Haben die Apostel Säuglinge getauft?

von Johannes Lerle

Gross Oesingen : Luth. Buchh. Harms, 1990 ISBN 3-922534-56-2, Preis 7 Euro

 

Inhaltsverzeichnis

 

Das Problem

Die Gotteskindschaft

Jesus korrigiert die Pharisäer (Lk 15)

Das verlorene Schaf

Der verlorene Groschen

Die verlorenen Söhne

Reich Gottes und Umkehr

Geistliches Wachstum

Wie hat die Urgemeinde die Taufe verstanden?

Die Taufpraxis in der Urgemeinde

Ein alttestamentliches Vorbild für die Taufe

Wieviel Wasser ist zum Taufen nötig?

Die ältesten kirchenge- schichtlichen Zeugnisse über die Kindertaufe

Justin

Polykarp

Irenaeus

Origenes

Tertullian

Weitere Zeugnisse und Hinweise

Die Krise und ihre Überwindung

Die Taufe nach neutesta- mentlicher Verkündigung

Wer handelt in der Taufe?

In der Taufe geschieht etwas

Das neue Leben

Röm. 7,14-25

Die Glaubensursache

Was ist Glauben?

Der Kinderglaube

Mögliche Einwände

Wer schließt den „Bund“?

Wer bewirkt die Umkehr?

Trotzdem wird eingewendet:

„Säuglinge können noch nicht glauben“

„Im neutestamentlichen Gottesvolk gibt es nur Freiwillige“

„Erst Glaube, dann Taufe“

„Kindertaufe nirgendwo berichtet”

 

 

 

Das Problem

Sollen wir unsere Kinder schon als Säuglinge taufen lassen? Durch Diskussionen über diese Frage sind viele christliche Eltern verunsichert. Die Säuglingstaufe ist zweifellos ein sehr alter Brauch. Aber geht sie wirklich auf die Zeit der Apostel zurück? Die Apostel haben in der Tauffrage in großer Einmütigkeit und mit allgemeiner Zustimmung gehandelt. Aus dem ersten christlichen Jahrhundert sind uns keinerlei Beanstandungen und nicht einmal Spuren von Kritik am apostolischen Handeln in dieser Sache erhalten.

In der Frage, wie Nichtchristen in das Gottesvolk aufgenommen werden, waren sich die Zeitgenossen der Apostel so einig und sicher, daß es auch über die Säuglingstaufe keine Meinungsverschiedenheiten gegeben hat. Offensichtlich haben diese Christen die Gleichnisse Jesu, die Herrenworte und die Weisungen der Apostel so verstanden, daß für sie die Frage beantwortet war, ob man Säuglinge taufen oder ob man sie von der Taufe ausschließen soll. Wir versuchen, dieses Verständnis aus den biblischen Texten zu rekonstruieren.

 

Die Gotteskindschaft

Jesus korrigiert die Pharisäer (Lk 15)

Wie Christus die Gotteskindschaft versteht, wird besonders deutlich, wenn er die Auffassungen der Pharisäer und Schriftgelehrten korrigiert. Diese hatten nämlich daran Anstoß genommen, daß sich Jesus mit Sündern abgab und mit ihnen sogar Tischgemeinschaft pflegte. Die Pharisäer gingen bewußt den schweren und dornenreichen Weg der Gesetzeserfüllung und verachteten die Sünder. An jene religiöse Oberschicht wendet sich Christus, wenn er das Wesen der Gotteskindschaft an Hand der Bilder vom verlorenen Schaf, vom verlorenen Groschen und von den verlorenen Söhnen veranschaulicht.

a) Das verlorene Schaf

Im ersten Bild vergleicht Jesus sich mit einem Menschen, der hundert Schafe hat. Er hat, d.h. er besitzt sie. Die Schafe werden nicht erst sein Eigentum, sondern sie sind es bereits und bleiben es auch dann, wenn sie von der Herde weglaufen. Mit dem Bild vom verlorengegangenen Schaf will Jesus den Pharisäern und Schriftgelehrten folgendes klarmachen: Obwohl sich die Zöllner und Sünder von der Herde getrennt hatten, so haben sie deshalb noch lange nicht aufgehört, zum Volk Gottes zu gehören. Indem Jesus seinen Umgang mit jenen Menschen mit der Tätigkeit eines Schafhirten vergleicht, bringt er unmißverständlich zum Ausdruck, daß die alttestamentlichen Prophezeiungen wie Hes 34 sich auf ihn beziehen. Er ist der verheißene Knecht David, der die Schafe weidet. Er ist der angekündigte Messias. Er als der Messias geht dem Verlorenen nach. Nicht das Schaf sucht ihn, kehrt um und findet ihn, sondern umgekehrt: Er – der Hirte – geht ihm nach und findet es. Und wenn er es freudig auf seinen Schultern nach Hause trägt und seine Freunde und Nachbarn zusammenruft, damit auch sie sich mitfreuen sollen, dann sagt er nicht etwa: Mein Schaf hat sich für mich entschieden. Er sagt auch nicht: Mein Schaf ist zu mir umgekehrt. Ja, er sagt nicht einmal: Mein Schaf hat mich gefunden. Sondern er ruft: „Freut euch mit mir, denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war!“ Der Hirte war es, der gefunden hat, und nicht das Schaf. Das Schaf war geistig dazu nicht in der Lage.

Wenn Jesus ausgerechnet den Pharisäern dieses Gleichnis erzählt, will er besonders ihnen verständlichmachen: So wie das verlorene Schaf in gleicher Weise zu den hundert Schafen gehört wie die restlichen neunundneunzig, so zählt Gott auch diejenigen, die von ihm abgeirrt sind, nach wie vor zu seiner Herde und geht ihnen nach, um sie zurückzubringen.

b) Der verlorene Groschen

Die Tatsache, daß allein Gott die große Wende vollbringt und nicht der einzelne Sünder, macht Jesus im darauffolgenden Bild vom verlorenen Groschen noch deutlicher. Dieses Gleichnis ist dem vom verlorenen Schaf ganz ähnlich. Eine Frau hat zehn Groschen. Sie vermißt einen, zündet ein Licht an, fegt das ganze Haus und sucht so lange, bis sie ihn findet. Nachdem sie den verlorenen Groschen nun endlich gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarn zusammen und fordert alle auf, sich mitzufreuen.

Stellt man das Gleichnis von den zehn Groschen dem von den hundert Schafen gegenüber, so fällt auf, daß Jesus im zweiten Bild die abgeirrten Menschen nicht mit lebenden Tieren, sondern mit toten Gegenständen vergleicht. Kann ein unvernünftiges Schaf schon nicht selbst die große Wende vollziehen und zu seiner Herde zurückkehren, so wird dies bei einem toten Gegenstand, wie z.B. einer Geldmünze, noch offensichtlicher.

Beide Gleichnisse zeigen, wie abgeirrte Menschen gefunden werden und wie sich der Hirte, bzw. die Frau, darüber freut und andere mit ihrer Freude mitreißt. Am Ende beider Gleichnisse spricht Jesus aber auch von der Freude im Himmel über einen Buße tuenden (besser übersetzt: die Gesinnung umgestaltenden) Sünder. Jesus gebraucht „Buße tun“ bzw. „die Gesinnung umgestalten“ und „gefunden werden“ parallel. Das bedeutet, daß er mit Buße nicht eine Tat oder Entscheidung des Sünders, sondern Gottes Heilshandeln meint, das den Verlorenen findet.

 

c) Der Vater liebt die verlorenen Söhne

Es ist sehr aussagestark, daß Jesus Menschen mit Söhnen vergleicht, die einen Vater haben. Im irdischen Bereich wird man ein Sohn des leiblichen Vaters ohne eigenes Zutun. Ein Säugling hat bereits ganz bestimmte Eltern, obwohl er sich diese nicht ausgesucht hat, ja obwohl er sich dessen nicht einmal bewußt ist. Wenn Jesus bei verschiedenen Gelegenheiten immer wieder von Kindern (wörtlich: Söhnen) Gottes spricht, dann deutet er dabei nicht im geringsten an, daß es bei Gotteskindern anders sein könnte als bei Kindern leiblicher Eltern. Nirgendwo werden wir belehrt, daß man dadurch zum Gotteskind wird, indem man sich der Herrschaft des himmlischen Vaters unterstellt.

Das trifft auch auf Jesu Erzählung von den beiden verlorenen Söhnen zu. Bei dem jüngeren Sohn wird dies besonders offensichtlich. Denn sein Fernweh zeigt, daß er nicht bereit ist, sich der Herrschaft des Vaters zu unterstellen. Ihn zieht es doch nur deshalb von zu Hause fort, weil er sich dort nicht wohlfühlt, weil seine Gesinnung nicht mit der des Vaters übereinstimmt. Sein Wunsch, das Vaterhaus zu verlassen, ist somit nicht die eigentliche Sünde, sondern lediglich die Auswirkung seiner Geisteshaltung. Und der Vater hindert ihn nicht einmal daran. Er erfüllt ihm sogar seine Bitte und gibt ihm die materiellen Güter, die er für ein Leben nach den eigenen Vorstellungen benötigt.

Hat sich der Sohn erst einmal innerlich von seinem Vater getrennt und auch erhalten, was er wollte, so hält er es nicht mehr lange beim Vater aus. Bald darauf zieht er in ein fernes Land, möglichst weit weg vom Vater. Nur dort, wo er frei von der lästigen Gegenwart des Vaters ist, kann er sich selbst verwirklichen und sein eigenes Leben ausleben. Entsprechend zügellos verhält er sich auch. Doch die Folgen bleiben nicht aus. Nachdem er sein ganzes Geld verschwendet hat, stürzt eine große Hungersnot ihn völlig ins Elend. Er arbeitet als Schweinehirt. Hungrig, wie er ist, hätte er es nicht einmal verschmäht, das Schweinefutter zu essen, doch – so erschütternd steht es in der Bibel – niemand gibt es ihm.

Während er nun in dumpfer Verzweiflung und ohne jegliche Hoffnung im Elend steckt, in das er durch die bewußte Abkehr vom Vater hineingeraten ist, und sogar den Hungertod fürchten muß, erinnert er sich wieder an sein Zuhause. Noch weiß er, daß es im Vaterhause für jeden Brot zum Sattwerden gibt. Dem Hungertode ausgeliefert, weckt diese Erinnerung in ihm eine tiefe Sehnsucht. Voller Sündenerkenntnis möchte er, der es seinerzeit verschmäht hat, ein Sohn zu sein, sich im Elend nicht auf seine Sohnschaft berufen. Ähnlich wie die kanaanäische Frau (Mt 15,27) nur etwas von den überzähligen Brocken haben wollte, erwartet der aus der Fremde Heimkehrende gar nicht, als Sohn aufgenommen zu werden. Er hatte damals beim Weggehen die Sohnschaft vorsätzlich wie lästigen Ballast weggeworfen. Darum will er jetzt dem Vater bekennen: „Ich bin nicht wert, dein Sohn genannt zu werden“. Er ahnt etwas von der Barmherzigkeit des Vaters. Denn zu ihm kommt er mit der Bitte, das Leben als Tagelöhner fristen zu dürfen. Er redet ihn sogar mit „Vater“ an. Was er noch nicht erkennt, ist das wirkliche Ausmaß der Liebe und der barmherzigen Vergebung.

Aus der Sicht des Vaters jedoch sieht die Sache anders aus: Sein Sohn hat doch nicht dadurch die Kindschaft erlangt, daß er ihn als seinen Vater angenommen oder sich seiner Herrschaft unterstellt hätte. Er war ja schon ein geliebtes Kind seines Vaters, als er noch in den Windeln lag und zu klein war, um sich zu entscheiden. Nicht einmal dadurch, daß er dem Vater davongelaufen war, hat er aufgehört, sein Sohn zu sein. Voller Sehnsucht schaut der Vater nach dem aus, den er nach wie vor als seinen Sohn anerkennt.

In größter Freude erblickt er endlich von weitem den zerlumpten und ausgehungerten Heimkehrer. In bewegender Weise erzählt Jesus, wie der erbannende Vater ihm entgegeneilt, um den Hals fällt und ihn küßt. Der zerlumpte Heimkehrer wird mit dem besten Gewand bekleidet. Er bekommt einen Ring an den Finger und Schuhe an die Füße. Der Vater läßt das gemästete Kalb schlachten und ein großes Fest feiern. Alle sollen sich mitfreuen, denn sein Sohn war tot und lebt wieder; er war verloren und ist gefunden worden. Diese dramatische Szene verdeutlicht noch einmal, daß der barmherzige Vater in dem heruntergekommenen Habenichts nach wie vor seinen Sohn sieht, auch wenn der es gar nicht wert ist.

Doch da ist noch ein anderer Sohn. Der fühlt sich benachteiligt, will nicht mitfeiern und empört sich: Das ist doch der Gipfel der Ungerechtigkeit, die sich der Vater leistet! Er hält dem Vater vor: „Siehe, so viele Jahre diene ich dir und habe dein Gebot noch nie übertreten; und du hast mir nie einen Bock gegeben, daß ich mit meinen Freunden fröhlich wäre“ (V. 29). Worüber regt sich dieser Sohn eigentlich auf? Er meint, sein Leben dem Vater übergeben zu haben. Er ist es doch, der dem Vater stets gedient hat. Wenn jemand etwas zu bekommen hat, dann doch wohl in erster Linie er und nicht dieser Tauge nichts von Bruder. Er, der ältere Sohn, hat Positives geleistet, jener hat hingegen nur Schaden angerichtet.

Doch der Vater denkt ganz anders. Er sagt nicht: Du hast mir dies gegeben, dafür bekommst du jenes. Jesus will in seiner Erzählung von den verlorenen Söhnen zum Ausdruck bringen: Der Vater nimmt den Heimkehrenden ohne jegliche Gegenleistung in vollem Umfang wieder als Sohn auf. Weil er sich mit so überschwenglicher Freude freut, läßt er das gemästete Kalb schlachten. Alle sollen sich mitfreuen.

Auch der ältere Sohn ist zum Freudenfest eingeladen. Doch dieser kann sich nicht freuen. Ihm liegt nichts am Mitfeiern. Er will etwas anderes. Er möchte mit seinen eigenen Freunden fröhlich sein, nicht mit denen des Vaters. Er hat dem Vater treu gedient und – wie er meint – immer seine Pflicht erfüllt. Er will auch weiterhin für den Vater arbeiten, ihm nicht den Rücken kehren. Doch warum nicht einmal nur einige wenige Stunden lang nach eigenem Geschmack mit selbsterwählten Freunden feiern? Natürlich nicht so ausgiebig und so ausschweifend wie der Bruder, aber doch ein wenig „frei“ sein, ein wenig ohne die als lästig empfundene Gegenwart des Vaters.

Im Unterschied zum älteren Sohn ist der Heimkehrende sich seiner Unwürdigkeit voll bewußt. Er bekennt: „Vater, ich habe gesündigt vor dem Himmel und vor dir. Ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn genannt zu werden.“ Er erwartet nicht, als Sohn aufgenommen zu werden. Er hofft lediglich, als Knecht dem Hungertode zu entgehen.

Doch hat der Heimkehrer wirklich nichts zu seiner Wiederannahme beigetragen? War er es denn nicht, der umgekehrt ist? Betrachtet man Jesu Erzählung aus diesem Blickwinkel, dann hätte der Vater dem älteren Sohn entsprechend dessen Verdiensten viele Mastkälber geben müssen. Doch Jesus will gerade verdeutlichen, daß der jüngere Sohn nichts und auch gar nichts vorzuweisen hat, was man auch nur im entferntesten als eigenes Verdienst ansehen könnte. Das ist dem jüngeren Sohn auch voll bewußt. Deshalb tritt er seinem Vater wie ein Bettler gegenüber, der nichts und auch gar nichts vorzuweisen hat. Und diese Erkenntnis hat er seinem älteren Bruder voraus, der ja auf die eigenen Verdienste pocht.

Der Heimgekehrte ist zu dem umgekehrt, was er von frühester Kindheit an war und auch in der tiefsten Verkommenheit geblieben ist. Er war, blieb und ist ein geliebtes Kind des Vaters. Nur hatte er vorübergehend nichts davon wissen wollen. Durch seine Rückkehr ist er also keineswegs erneut zum Sohn geworden, sondern macht jetzt nur von den Segnungen Gebrauch, die ihm der Vater die ganze Zeit über angeboten hat.

Nachdem der jüngere Sohn heimgekehrt ist, will der Vater auch dem älteren die Augen dafür öffnen, daß dieser in Wirklichkeit ja nichts versäumt hat. Er will es ihm verständlichmachen, daß es ein Vorzug und nicht etwa eine lästige Einengung ist, immer beim Vater gewesen zu sein. Der jüngere Bruder hat schmerzlich erfahren müssen, welche Folgen es hat, das Lebensglück außerhalb des Vaterhauses zu suchen. Der ältere Sohn hingegen hat die Bekehrung noch nötig. Er hat es vermieden, den Heimkehrer „Bruder“ zu nennen. Doch der Vater will dem Daheimgebliebenen zu der Erkenntnis verhelfen, daß auch er in der Gemeinschaft der Sünder steht, und sagt daher sehr pointiert: „dein Bruder“. „Dein Bruder war tot und ist wieder aufgelebt; er war verloren und ist wiedergefunden worden.“

Die Bilder vom verlorenen Schaf und vom verlorenen Groschen haben gezeigt, daß die Initiative beim Wiederfinden weder vom Schaf und schon gar nicht vom Groschen ausgeht. Auch in Jesu Erzählung von den verlornen Söhnen begegnet uns dieser Sachverhalt. „Er war tot und ist wieder aufgelebt und war verloren und ist wieder gefunden worden.“ Wer tot ist, der kann unmöglich irgendeine Eigeninitiative entfalten. Wenn er dennoch lebendig wird, so hat ein anderer an ihm gehandelt. In der nächsten bildhaften Aussage kommt dieser Sachverhalt auch durch ein grammatisches Passiv zum Ausdruck: „Er war verloren und ist wiedergefunden worden“.

Zusammenfassend ist festzuhalten: Die beiden verlorenen Söhne sind nicht erst Söhne geworden, als sie sich der Herrschaft des Vater unterstellt haben, sondern sie waren Söhne von Anfang an. Sie blieben es, obwohl beide innerlich das Vaterhaus verlassen hatten, obwohl der eine zuerst heillos das Gut des Vaters verpraßt und dann mit knurrendem Magen die Schweine gehütet hat, obwohl der andere dem Vater zwar äußerlich treu gedient, sich jedoch danach gesehnt hat, auch einmal außerhalb des Vaterhauses mit seinen Freunden fröhlich zu sein.

Dadurch, daß beide ins Vaterhaus gehören, wird die Bekehrung keineswegs überflüssig. Im Gegenteil, beide haben ja wohin zurückzukehren. Umkehr heißt in diesem Fall: den Reichtum, den sie bereits haben, auch zu nutzen.

 

Reich Gottes und Umkehr

Daß Jesus den einzelnen Menschen schon als sein Eigentum beansprucht, bevor dieser sich überhaupt für seinen Heiland entscheiden kann, geht auch aus dem ersten Kapitel des Johannesevangeliums hervor. Dort ist in Vers 11 von Jesus gesagt: „Er kam in sein Eigentum, und die Seinen nahmen ihn nicht auf (Joh 1,11). Es wird also vorausgesetzt, daß die Welt sein Eigentum ist; sogar diejenigen, die ihn nicht aufnahmen, werden als „die Seinen“ bezeichnet. Doch Jesu Eigentumsanspruch ist nicht zu verwechseln mit der sogenannten Allversöhnung. Im darauffolgenden Vers (Joh 1,12) wird nur von denen, die ihn aufnahmen, gesagt, daß er ihnen Vollmacht gab, Kinder Gottes zu werden, die an seinen Namen glauben.

Die Bußpredigt Johannes des Täufers (Mt 3,2) und die Verkündigung Jesu (Mt 4,17) lehren ebenfalls, Ursache und Wirkung zu unterscheiden. Christus und der Täufer predigen: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.“ Die Umkehr der Menschen ist somit nicht, wie die Juden meinten, die Voraussetzung dafür, daß das Reich Gottes kommen kann, sondern umgekehrt: Das Reich Gottes nähert sich dem einzelnen ohne jegliche Vorbedingungen. Dadurch, daß es „nahe herbeigekommen“ ist, bewirkt es die Buße, durch die es allein richtig empfangen werden kann.

Das Himmelreich ist etwas Jenseitiges, das in diese Welt hineintritt, wächst und sich ausbreitet. Das erklärt Jesus durch Gleichnisse (Mt 13,31 ff). Das Himmelreich gleicht einem Senfkorn, das ein Mensch nahm und auf seinem Acker aussäte. Der Acker bringt das Samenkorn nicht hervor, sondern es wird in die Erde gelegt. Doch in der Struktur des Senfkorns ist die Gestalt der ausgewachsenen Pflanze bereits vorgegeben. Wie ein Mensch den Samen der Senfpflanze auf seinen Acker sät, so legt Gott durch den geschenkten Glauben das Himmelreich ins Menschenherz. Am Anfang gleicht der Glaube nur einem kleinen Samenkorn. Dennoch handelt es sich um Glauben im Vollsinn des Wortes, der sich nach und nach so entfaltet, wie das extrem kleine Senfkorn zur großen Senfpflanze heranwächst. Jesus sagt: „Das Himmelreich gleicht einem Senfkorn“ und „das Himmelreich gleicht dem Sauerteig“. Demnach vergleicht Jesus nicht erst die ausgewachsene Pflanze bzw. die Gesamtmenge des durchsäuerten Teiges, sondern bereits das früheste Anfangsstadium mit dem Himmelreich. Somit ist nicht nur der Mensch Bürger des Reiches Gottes, dessen Glaube sich bereits in einem fortgeschrittenen Stadium befindet, sondern auch schon derjenige, in dem sich das Gottesreich erst noch entfaltet, und sei es während des allerfrühesten Stadiums.

 

Geistliches Wachstum

Daß Gott nicht nur den Anfang des geistlichen Lebens schenkt, sondern daß er das neue Leben ständig erhält, erklärt Jesus durch das Gleichnis vom Weinstock und den Reben. „Ich bin der Weinstock, ihr die Reben“ (Joh 15,5). Bereits dieser Vergleich macht den Sachverhalt deutlich, der auch in anderen Gleichnissen wiederholt zum Ausdruck kommt: Wie eine Rebe sich nicht für den Weinstock entscheiden und sich nicht an den Weinstock anhängen kann, so sind wir nicht dadurch Gotteskinder geworden, daß wir uns der Herrschaft Gottes unterstellt hätten. Im Bild vom Weinstock und den Reben ist die

Verbindung der Rebe mit dem Weinstock vorgegeben. Der Gedanke, daß die Gotteskindschaft – und sei es nur zum Teil – auf der Entscheidung des Menschen beruhe, fehlt völlig. Die Rebe ist aus dem Weinstock herausgewachsen. Darum bildet sie mit ihm eine organische Einheit. Weil sie mit dem Weinstock verbunden ist und von dessen Lebenssäften durchströmt wird, deshalb – und zwar einzig und allein nur deshalb – kann sie Frucht bringen.

Nicht erst die Frucht macht die Rebe zur Rebe. Ähnlich wie im Senfkorn bereits die ausgewachsene Pflanze vorgegeben ist, so ist die Rebe nicht erst dann eine Rebe, wenn sie ausgereifte Trauben trägt, sondern sie ist es bereits in ihrem frühesten Entwicklungsstadium. Zuerst ist die Rebe eine Rebe am Weinstock, und dann erst kann sie Frucht bringen. „Ohne mich könnt ihr nichts tun“, fügt Jesus ausdrücklich hinzu. Ohne ihn können wir nicht nur keine Früchte der Jesusnachfolge bringen, sondern ohne ihn können wir nicht einmal zu ihm – zu dem Weinstock – kommen und uns mit ihm verbinden. Denn Jesus sagt auch zu den Jüngern: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und euch gesetzt, damit ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibe“ (Joh 15,16).

Unser Christsein liegt in der Bindung an den Weinstock. Von daher fällt Licht auf die alte Kontroversfrage, ob wir durch Glauben oder durch Werke gerettet werden. Jesus sagt: „Wer in mir bleibt und ich in ihm, dieser bringt viel Frucht, denn außer mir könnt ihr nichts tun. Wenn jemand nicht in mir bleibt, so wird er hinausgeworfen wie die Rebe und verdorrt, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer, und sie werden brennen. Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, wenn ihr wollt: bittet, und es wird euch geschehen. Darin wird mein Vater verherrlicht, daß ihr viel Frucht bringt und werdet meine Jünger sein“ (Joh 15,5-8).

Im Wesen des Glaubens liegt eine so enge Bindung an Christus wie die der Rebe zum Weinstock. Dazu gehört auch, daß wir in Christus bleiben und seine Worte in uns. Zweifellos gehört zum Glauben, daß wir das Wort Gottes

kennen und ihm auch voll zustimmen. Doch das Wesen des Glaubens ist etwas anderes, als mit dem Verstand die verschiedenen dogmatischen Formulierungen zu kennen und zu bejahen. Solch einen „Glauben“ haben sogar die Teufel (Jak 2,19). Was aber den Glauben zum Glauben macht, ist die lebendige Verbindung der Rebe mit dem Weinstock, so daß die Lebenssäfte des Weinstocks die Rebe durchströmen und bewirken, daß sie Frucht bringt. Da diese innere Verbindung nicht auf menschlicher Leistung beruht, können bereits kleine Kinder, die die verschiedenen Lehrsätze der Dogmatik noch nicht verstandesmäßig erfassen können, dennoch durch den Glauben als Rebe am Weinstock hängen.

Die Tatsache, daß die Frucht nicht die Rebe zur Rebe macht, bedeutet nicht, daß die Frucht überflüssig sei. Wie der Weinstock durch die Reben die Trauben bringt, so wirkt Gott durch uns die Frucht des Glaubens. Obwohl wir uns weder an den Weinstock anhängen noch aus eigenem Vermögen Frucht hervorbringen können, haben wir durchaus die Möglichkeit, dem Wirken Gottes zu widerstreben. Wir können sehr wohl die Verbindung zum Weinstock lösen und ohne Frucht bleiben. Vor dem Unheilsweg, nicht am Weinstock zu bleiben und zu verdorren und danach verbrannt zu werden, warnt Jesus sehr nachdrücklich.

Nicht wir haben Jesus erwählt, sondern er hat uns erwählt. Nur dadurch, daß er uns den Glauben geschenkt hat, können wir erkennen, daß wir bereits einer Rebe gleichen, die am Weinstock hängt. Auch durch dieses Gleichnis bringt Jesus zum Ausdruck, daß die Gotteskindschaft ein lebendiges Lebensverhältnis ist, zu dem das von Gott gewirkte Wachstum gehört. Denn jede Rebe, die Frucht bringt, reinigt Gott, damit sie mehr Frucht bringe (Joh 15,2).

 

Wie hat die Urgemeinde die Taufeverstanden?

 

Die Taufpraxis in der Urgemeinde

Die Urgemeinde nahm anfänglich am gottesdienstlichen Leben im Tempel teil (Apg 2,46; 3,1; 4,1; 5,12), denn Jesus hat nicht etwa ein neues Gottesvolk erwählt, das zusätzlich zum alten Gottesvolk existieren sollte. Auch in neutestamentlicher Zeit gibt es nach wie vor nur ein Gottesvolk und nicht etwa zwei Völker Gottes. Reichte die Macht Davids (2 Sam 8,3) und Salomos (l Kö 5,1) bis an den Euphrat, so erstreckt sich der Herrschaftsbereich des Messias von Meer zu Meer und vom Euphrat bis zu den Enden der Erde (Ps 72,8).

Wie ehemalige Heiden in das Gottesreich aufgenommen werden, veranschaulicht Paulus am Bild eines Ölbaums (Röm 11). Abraham, der an Christus geglaubt hat (Joh 8,56), und die Propheten, die den Messias verkündigt haben, kann man mit der Wurzel vergleichen, die die Zweige trägt. Ein Teil der Zweige sind christusgläubige Juden, z.B. die Apostel. Ein anderer Teil sind ehemalige Wildlinge, die gegen die Natur in den guten Ölbaum hineingepfropft worden sind. Nun haben auch sie Anteil an der gemeinsamen Wurzel. Ein Teil der natürlichen Zweige, also solche Juden, die Christus ablehnen, sind herausgebrochen worden. Das Bild vom Ölbaum zeigt die Kontinuität des Gottesvolkes. Diese besteht im Christusglauben eines Abraham und nicht in der leiblichen Herkunft von Abraham.

In diesem Sinne hat auch Jesus gepredigt, wenn er von Juden, die sich für Abrahams Kinder hielten, sagt, daß sie in Wirklichkeit Kinder des Teufels sind (Joh 8,44). Die Schriftgelehrten und Pharisäer sind nach Jesu Worten Kinder derer, die die Propheten getötet haben (Mt 23,30f). Bei den Pharisäern war die leibliche Herkunft das Kriterium für die Kindschaft Abrahams. Jesus hingegen sieht dieses Kriterium im Glauben eines Abraham und nicht in der leiblichen Herkunft.

Das neutestamentliche Gottesvolk, in dem es „weder Juden noch Griechen“ (Gal 3,28) gab, lebte also in der Kontinuität des alttestamentlichen Gottesvolkes. Die ersten Christen waren ja Juden und sind dies auch dann geblieben, als sie zum Glauben an Jesus gekommen waren. Sie beachteten auch weiterhin das mosaische Gesetz. Dem Petrus erschien es als Unding, das Fleisch unreiner Tiere zu essen (Apg 10,9-14). Sogar der Heidenapostel Paulus lebte selbst nach jüdischer Weise (Apg 21,20-25). Die Gemeinde versammelte sich täglich einmütig im Tempel (Apg 2,46). Wären die Kinder nicht beschnitten gewesen, hätten sie keinen Zugang zum Tempel gehabt. Judenchristen haben sogar noch in den folgenden Jahrhunderten1 ihre Kinder beschnitten. Für sie war es von der Tradition der Säuglingsbeschneidung her selbstverständlich, daß bereits Kleinkinder zum Gottesvolk gehören sollen.2

Daß man im Judentum so empfunden hat, kommt auch bei der jüdischen Praxis des Proselytenbades zum Ausdruck. Übertretende Heiden wurden zusätzlich zur Beschneidung durch ein Tauchbad ins Judentum aufgenommen. Kinder wurden gleichzeitig mit ihren übertretenden Eltern beschnitten und getauft.

Auf diesem Hintergrund muß man das Handeln der Apostel verstehen. Wie die Taufe als neutestamentliches Bundeszeichen an die Stelle der alttestamentlichen Beschneidung tritt, deutet Paulus im Kolosserbrief an:„In ihm (Christus) seid auch ihr beschnitten worden mit einer nicht mit Händen geschehenen Beschneidung, in dem Ausziehen des Leibes des Fleisches, in der Beschneidung des Christus, mit ihm begraben in der Taufe, in welcher ihr auch mitauferweckt worden seid durch den Glauben, den Gott wirkt, der ihn von den Toten auf erweckt hat“ (Kol 2,11f).

Es ist undenkbar, daß es den Aposteln möglich gewesen wäre, die Neugeborenen von der Taufe als der neutestamentlichen Beschneidung auszuschließen, ohne daß es Streit gegeben hätte. Von Kontroversen um die Kindertaufe fehlt aus neutestamentlicher Zeit jegliche Spur; und das, obwohl wir sonst über Auseinandersetzungen, z. B über das mosaische Gesetz (z.B. Apg 6,11-14; 15,1-29; 16,3; Gal 2,4f; 5,1ff), durchaus informiert sind.

Zwar waren die Einzelpersonen, über deren Taufe das Neue Testament berichtet, durchweg Erwachsene, doch es ist ebenso von der Taufe ganzer „Häuser“ die Rede (Apg 16,15; 1 Kor l,16). Der Kerkermeister in Philippi wurde mit „all den Seinen“ getauft (Apg 16,33). Zum „Haus“ gehörten selbstverständlich auch Kinder von ihrer Geburt an. Zwar wissen wir nicht, ob zum „Haus“ der Lydia (Apg 16,15), zum „Haus“ des Stephanas (l Kor 1,16) und zu den Familienangehörigen des Kerkermeisters Säuglinge gehört haben; doch es ist zu bedenken, daß die biblischen Berichte in der Absicht niedergeschrieben worden sind, auch für künftige Generationen Predigt, Erbauung und Wegweisung zu sein. Die Berichte sollen auch solchen Menschen als Verhaltensmuster dienen, zu deren „Häusern“ Säuglinge gehören.

 

Ein alttestamentliches Vorbild für die Taufe

Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. In diesem Sinne haben die ersten Christen alttestamentliche Ereignisse als schattenhafte Vorbilder künftigen Heilsgeschehens gedeutet. So sahen die Apostel die christliche Taufe im Durchzug der Israeliten durch das Schilfmeer vorgebildet: „Ich will euch aber nicht in Unkenntnis lassen, Brüder, daß unsere Väter alle unter der Wolke waren und alle durch das Meer hindurchzogen und alle in Moses hineingetauft wurden in der Wolke und im Meer. Und alle aßen dieselbe geistliche Speise, und alle tranken denselben geistlichen Trank. Sie tranken nämlich von dem mitgehenden geistlichen Felsen. Der Fels aber war Christus. Aber an den meisten von ihnen hatte Gott keinen Gefallen, denn sie wurden in der Wüste niedergestreckt. Das sind Vorbilder für uns geworden, damit wir unsere Gelüste nicht auf Böses richten, wie jene sich haben gelüsten lassen“ (l Kor 10,1-6).

Der Apostel vergleicht hier den Zustand eines Christen mit der Situation des alttestamentlichen Gottesvolkes zur Zeit der Wüstenwanderung. Die ägyptische Knechtschaft entspricht der Sündensklaverei vor dem Christsein, das verheißene Land dem himmlischen Ziel und die Strapazen und Entbehrungen während der Wüstenwanderung mit ihren Versuchungen zum Abfall entsprechen dem Christenleben. Dieses wird mitunter als beschwerlich empfunden, in ihm gibt es Versuchungen, aber es soll vor allem im Blick auf das jenseitige Ziel gelebt werden.

Nicht einzelne Individualisten hatten sich damals entschieden, Ägypten zu verlassen und sich durch die Wüste ihren Weg nach Kanaan zu suchen, sondern Gott hat mit allmächtiger Hand durch Mose sein Volk aus der Knechtschaft des Pharao herausgerissen und es durch das Schilfmeer hindurchgeführt.

Dieses Wasser war die entscheidende Wende sowohl für die ägyptischen Unterdrücker als auch für das Volk Israel. Der Gegner kam in den Fluten um, doch durch ebendieselben Fluten wurde das Gottesvolk hindurchgeführt. Im Untergang der feindlichen Streitmacht des Pharao beim Durchzug durch das Schilfmeer sahen die Apostel schattenhaft vorgebildet, daß der alte Mensch im Wasserbad der Taufe abgetötet wird (Röm 6,3-7). Als das alte Gottesvolk das Meer verließ, hatte es ein neues Leben, frei von ägyptischer Sklaverei, vor sich. Ebenso dürfen auch getaufte Christen ein neues Leben führen (Röm 6,3-6).

Der Apostel zeigt noch mehr Parallelen zwischen dem Durchzug durch das Schilfmeer und christlicher Taufe. Unmittelbar nach jenem Wunder wohnten die Israeliten noch nicht im verheißenen Lande. Vor ihnen lag noch eine beschwerliche Wüstenwanderung. Ebenso gleicht das christliche Leben nach der Taufe einer mitunter entbehrungsreichen Reise zum himmlischen Ziel hin.

An Hand des alttestamentlichen Vorbilds für die christliche Taufe betont der Apostel Paulus das Handeln Gottes: „Ich will euch aber nicht in Unkenntnis lassen, Brüder, daß unsere Väter alle unter der Wolke waren und alle durch das Meer hindurchzogen und alle in Moses hineingetauft wurden in der Wolke und im Meer.“ Diejenigen, die durch das Schilfmeer zogen, waren also nicht eine Gruppe von Israeliten, die sich für den Auszug aus Ägypten entschieden und ihre Landsleute, die sich nicht entschieden hatten, zurückgelassen hätte. Wäre es so gewesen, dann hätte diese Gruppe sich nämlich auch von ihren Kleinstkindern trennen müssen, da sich diese wohl noch nicht selbst entscheiden konnten, der Sklaverei den Rücken zu kehren.

Vergessen wir nicht, daß Paulus in der Geschichte des alttestamentlichen  Gottesvolkes neutestamentliches Heilsgeschehen vorgeformt findet. Im Text steht, daß „alle in Moses hineingetauft wurden“. Das zeigt, wie die christliche Taufe gehandhabt werden soll. Der Apostel kommt also gar nicht auf den Gedanken, daß Neugeborene von der Taufe auszuschließen seien. Damals handelte Gott am gesamten Volk. Alle riß er aus der Knechtschaft heraus: sowohl die Säuglinge als auch diejenigen, die sich später nach Ägypten zurücksehnten. Gott hatte sie alle herausgerissen, „alle in Mose hineingetauft“.Alle haben die geistliche Speise gegessen, und alle haben den geistlichen Trank getrunken. Das heißt: Sie haben alle von Christus, dem mitfolgenden geistlichen Felsen, getrunken.

Doch dies ist nicht mit der sogenannten Allversöhnung zu verwechseln. Paulus weist ausdrücklich daraufhin, daß nicht alle, die aus der Sklaverei herausgerissen und in der Wolke und im Meer getauft worden sind, das Ziel auch wirklich erreicht haben. Mit aller Deutlichkeit fügt der Apostel hinzu, daß „für uns“ zur Warnung berichtet wird, was jenen widerfahren ist (l Kor 10,11). Damals haben manche über die Entbehrungen gemurrt und sich nach der Zeit zurückgesehnt, in der sie bei den Fleischtöpfen Ägyptens gesessen und genug Brot (2 Mo 16,3) sowie auch Fische, Kürbisse, Lauch, Zwiebeln und Knoblauch (4 Mo 11,5) zu essen hatten. Ähnlich stehen auch die Getauften, die dem himmlischen Ziel entgegengehen, in der ständigen Versuchung, sich nach den vermeintlichen Annehmlichkeiten ihres vorchristlichen Lebens zurückzusehnen. Paulus warnt also die Korinther davor, den Heilsweg zu verlassen, auf den sie allein Gott ohne jegliche eigene Mitwirkung oder eigenes Hinzutun gestellt hat.

 

Wieviel Wasser ist zum Taufen nötig?

Wenn der Apostel Paulus über den Durchzug der Israeliten durch das Schilfmeer schreibt und dabei das Wort „taufen“ benutzt, so gibt dies Aufschluß über das Bedeutungsspektrum jener Vokabel. Doch die Grundbedeutung des entsprechenden griechischen Wortes „baptizein“ ist „untertauchen“. Diese Taufform veranschaulicht die Botschaft von Röm 6 , die besagt, daß wir in der Taufe mit Jesus in seinen Tod begraben werden und – so wie Christus auferstanden ist – auch wir ein neues Leben führen sollen.

Mit „untertauchen“ ist aber keineswegs das gesamte Bedeutungsspektrum von „haptizein“  erfaßt. Paulus benutzt die entsprechende griechische Vokabel auch, um den Durchzug durch das Schilfmeer zu beschreiben. „In der Wolke und im Meer“ sind sie alle in Mose hineingetauft worden. Der Nebel, aus dem die Wolke bestand, wird die Israeliten feuchtgemacht haben. Beim Durchzug durch das Meer mögen sie bespritzt worden sein; doch von einem Untertauchen, bei dem jedes Fleckchen der Haut mit Wasser benetzt worden ist, kann bei dem Vorgang, den Paulus als „taufen“ bezeichnet, keine Rede sein.

Die griechische Vokabel „baptizein“ finden wir im Neuen Testament auch in anderen Zusammenhängen, wo sie üblicherweise mit „waschen“ übersetzt wird. So lesen wir in Lk 11, 37f, daß Jesus bei einem Pharisäer eingeladen war. Dieser wunderte sich, daß Jesus sich nicht erst vor dem Essen gewaschen (griechisch eine Verbform von „baptizein“) hatte. Es ist kaum vorstellbar, daß sich der Pharisäer darüber gewundert hätte, daß Jesus sich nicht im Wasser untergetaucht hatte.

Schon zur Zeit der Apostel ist die christliche Taufe nicht immer durch Untertauchen vollzogen worden. Darauf deutet das Auferstehungskapitel des ersten Korintherbriefes hin. Dort (l Kor 15,29) heißt es: „Denn was werden die tun, die sich über den Toten taufen lassen? Wenn Tote überhaupt nicht auferstehen, was werden sie denn über ihnen getauft?“3  Eine Taufe über Gräbern kann zum Ausdruck bringen, daß der Täufling in das Gottesvolk aufgenommen und in den Ölbaum (Röm 11,17) hineingepfropft wird und somit im jenseitigen Reich reale Gemeinschaft mit den bereits Verstorbenen (Mt 8,11) haben wird. Es hätte erhebliche technische Schwierigkeiten bereitet. Erwachsene über den Gräbern durch Untertauchen zu taufen. So spricht diese Taufstelle dafür, daß es schon zur Zeit des Apostels Paulus einen anderen Taufritus als den des Untertauchens gegeben hat.

 

Die ältesten kirchengeschichtlichen Zeugnisse über die Kindertaufe

Da es in der ältesten Kirche allem Anschein nach über die Taufe keinen Streit gegeben hat, der literarische Spuren hinterlassen hätte, haben wir aus dem ersten und dem zweiten Jahrhundert noch keine direkten Aussagen zur Taufpraxis. Doch finden sich indirekte Hinweise bei den ältesten Kirchenvätern.

 

Justin

Justin erwähnt in seiner ersten Apologie „… viele Männer und Frauen im Alter von 60 und 70 Jahren, die als Kinder Jünger Christi wurden“ und unverdorben geblieben waren. Dadurch, daß er diese Christen den erst im Erwachsenenalter Bekehrten gegenüberstellt, wird ersichtlich, daß er die frühe Kindheit meint. „Jünger werden“ drückt Justin mit der gleichen griechischen Vokabel aus, die der griechische Urtext im allgemeinen Missions- und Taufbefehl in Mt 28,19 gebraucht. Die Anspielung auf die Taufe liegt nicht nur in der Vokabel, sondern auch in der grammatischen Form (Aorist Passiv). Die gleiche Form finden wir in der Bibel in folgenden Sätzen: „Und die Frau war gerettet von jenem Augenblick an“ (Mt 9,22b). „Und ihre Tochter wurde geheilt von jenem Augenblick an“ (Mt 15,28b). „Und das Kind wurde geheilt von jenem Augenblick an“ (Mt 17,18b). Diese biblischen Sätze beschreiben eine augenblicklich eintretende Wende, die eine dauerhafte Veränderung zur Folge hat. Mit dieser grammatischen Form und mit einer Vokabel aus dem allgemeinen Taufbefehl drückt Justin den Beginn der Jüngerschaft von inzwischen ergrauten Christen aus. Da er im Zeitraum von 150-155 n.Chr. schreibt, müssen diese Männer und Frauen in der Zeit zwischen 80 und 95 n.Chr. geboren sein.4 Somit bezeugt Justin indirekt die Taufe von Kleinkindern in einer Zeit, in der noch viele Zeitgenossen der Apostel gelebt haben.

 

Polykarp

Ein weiterer indirekter Zeuge für die Kindertaufe ist Polykarp von Smyrna. In einem Bericht der Gemeinde von Smyrna über sein Martyrium wird uns erzählt, daß der greise Bischof auf die Aufforderung, Christus zu schmähen, geantwortet habe: „Sechsundachtzig Jahre diene ich ihm und nichts hat mir geschadet. Und wie kann ich meinen König, der mich gerettet hat, schmähen?“ Aus den sonstigen uns bekannten Lebensdaten kann man schlußfolgern, daß die 86 Jahre ziemlich genau dem Lebensalter entsprechen. Da sein Martyrium wohl im Jahre 167/168 erfolgt ist, muß er im Jahre 81 oder 82 n. Chr. im frühesten Kindesalter getauft worden sein.5

 

Irenaeus

Ein weiterer indirekter Zeuge für die Kindertaufe ist Irenaeus, der bald nach 180 n. Chr. schreibt: „[Jesus] kommt nämlich, um alle durch sich selbst zu retten: alle diejenigen, die durch ihn wiedergeboren werden in Gott, die Säuglinge und die Kleinkinder und die Knaben und die Jünglinge und die alten Männer.“ Irenaeus bezeichnet mit wiedergeboren werden“, einem fest eingebürgerten Sprachgebrauch folgend, die in der Taufe geschenkte Wiedergeburt. Diese Deutung wird zu allem Überfluß dadurch gesichert, daß Irenaeus die Bindung der Wiedergeburt an die Taufe leidenschaftlich verficht. Er sagt also, daß Jesus Menschen jeden Alters von den Säuglingen (infantes) bis zu den älteren Männern (seniores) rettet und heiligt, sofern sie getauft sind. Die Tatsache, daß die Taufe aller – von den Säuglingen bis hin zu den alten Männern – nur in einem Nebensatz erscheint, zeigt, wie selbstverständlich es für Irenaeus ist, daß alle, auch die Neugeborenen, getauft werden.6

 

Origenes

Eines der ersten direkten Zeugnisse der Säuglingstaufe finden wir bei Origenes (185/186 bis wahrscheinlich 254 n. Chr.). Dreimal erwähnt er sie in seinen Schriften als Praxis der Kirche; im Römerbriefkommentar fügt er noch hinzu, daß der Brauch auf die Apostel zurückgehe. Zwar sind diese Stellen erst zwischen 233 und 251 n. Chr. geschrieben, doch kann sich Origenes auf seine eigene Familientradition stützen. Er war siebzehnjährig, als sein Vater im Jahre 202 n. Chr. das Martyrium erlitt. Eusebius informiert uns, daß die Familie des Origenes seit Generationen christlich war. Das heißt, zumindest sein Großvater war Christ, wenn nicht bereits schon weitere Vorfahren. Origenes hätte so nicht reden können, hätte er nicht wenigstens von seinem Vater – wahrscheinlich auch von seinem Großvater – gewußt, daß sie als Kinder getauft worden sind.

Im Kontext der Auslegung von Lk 2,21-24 behandelt er eine „häufig zwischen den Brüdern besprochene Frage“. Er erklärt, daß die Kinder zur Vergebung der Sünden getauft werden. Obwohl sie selbst noch nicht gesündigt haben, sind sie nicht rein vom „Schmutz“. Den „Schmutz“ aber legt man ab durch das Mysterium der Taufe. Die „häufig zwischen den Brüdern besprochene Frage“ war also nicht, ob man Neugeborene taufen solle, sondern vielmehr, welchen Sinn ihre Taufe habe. Auch ist nichts davon gesagt, daß „Brüder“ die Säuglingstaufe unterlassen haben.

An anderer Stelle fügt Origenes im Anschluß an einen bereits abgeschlossenen Beweisgang über die Sündhaftigkeit der Neugeborenen ganz beiläufig als letztes Argument ohne eigenes Gewicht die Praxis der Säuglingstaufe an. Die Spendung dieses Sakraments könnte – so Origenes – als überflüssig erscheinen, wenn Neugeborene nicht schon Vergebung nötig hätten. Von Polemik gegen einflußreiche Kreise, die die Säuglingstaufe unterließen, kann auch hier keine Rede sein. Im Gegenteil, Origenes setzt voraus, jene Praxis sei so selbstverständlich, daß er mit ihr seine auf die Schrift gestützte Behauptung, die Neugeborenen seien mit Sünde behaftet, zusätzlich untermauern kann. Auch im Römerbriefkommentar, in dem er schreibt, wegen der Sünde der Neugeborenen habe die Kirche von den Aposteln die Überlieferung empfangen, auch den sehr kleinen Kindern (parvuli) die Taufe zu spenden, wird die Säuglingstaufe ganz beiläufig erwähnt. Sie wird wieder als Bestätigung für die aus dem Zeugnis der Schrift erschlossene Sündhaftigkeit nachtragsartig angeführt. Polemik wird nicht sichtbar. Origenes setzt vielmehr voraus, daß die Säuglingstaufe selbstverständlicher Brauch ist; nur so kann er erwarten, daß seine Argumente Durchschlagskraft haben.7

Größeres Gewicht bekommen die Aussagen des Origenes durch die Weite seines Gesichtskreises. 185/86 wurde er als Kind einer ägyptischen Familie geboren und lebte bis 231 in Ägypten (Alexandrien). Die eben zitierten Stellen stammen aus seiner Wirksamkeit in Palästina (Caesarea). Darüber hinaus hat Origenes auf seinen zahlreichen Reisen Rom, Griechenland, Westsyrien, Kappadozien und den Palästina benachbarten Teil von Arabien besucht. Er hätte nicht uneingeschränkt vom allgemeinen Brauch der Säuglingstaufe reden können, wenn er auf abweichende Bräuche gestoßen wäre.8 Wäre die Darstellung zutreffend, daß der später im vierten Jahrhundert verbreitete Taufaufschub bei Neugeborenen – wir werden darauf noch zu sprechen kommen – eine Nachwirkung apostolischer Handlungsweise sei, so hätte er auch in der Zeit zwischen der Wirksamkeit der Apostel und dem vierten Jahrhundert irgendwo in der Christenheit praktiziert werden müssen. Doch dies wäre von Origenes gewiß nicht unbemerkt geblieben.

Die zeitliche Nähe des Origenes zu den Aposteln verleiht seinen Aussagen erhebliches Gewicht. Wenn ein alter Mensch darüber Auskunft gibt, was er in seiner Jugend von einem betagten Augenzeugen erfahren hat, so ist mit Leichtigkeit eine Zeitspanne von mehr als hundert Jahren überbrückt. Zur Veranschaulichung ein Beispiel aus der Gegenwart: Mir (Jahrgang 1952) hat mein Großvater (1884-1965) gesagt, daß er am Tage seiner Geburt notgetauft worden war. Obwohl ich noch nicht ergraut bin, liegt jenes Ereignis bereits schon mehr als hundert Jahre zurück. Es ist nicht völlig ausgeschlossen, daß ich noch als Siebzigjähriger in der Lage sein werde, über jene Nottaufe zu informieren, die dann 138 Jahre zurückliegen wird. Überträgt man das Beispiel für die mündliche Tradierung auf Origenes, so bedeutet dies: Ein Siebzigjähriger kann ihn im Jahre 244 (nach diesem Jahr hatte er den Römerbriefkommentar verfaßt) über eine Taufe im Jahre 106 informiert haben. Sollte Origenes jedoch im Jahre 200 als Vierzehn- bis Fünfzehnjähriger informiert worden sein, dann wurde die Taufe im Jahre 62 vollzogen, also eindeutig zu Lebzeiten der Apostel.

Bei dem allen darf man nicht übersehen, daß wesentliche Änderungen in der Taufpraxis nicht so schleichend und unbemerkt vor sich gehen können wie ein Wandel in theologischen Ansichten. Ständig werden in den Gemeinden Kinder geboren. Ob man sie tauft oder nicht – eine Änderung der entsprechenden Praxis kann nicht unbemerkt erfolgen. Und von einer solchen Änderung fehlt jegliche Spur.

Nimmt man an, die Apostel hätten keine Neugeborenen getauft, dann müßte es zwei sehr einschneidende Änderungen gegeben haben. Es wäre als Bruch mit der Tradition der Säuglingsbeschneidung empfunden worden, hätten die Apostel die Kleinstkinder von der Taufe ausgeschlossen. Wiederholt kommt im Neuen Testament zum Ausdruck, daß es Ärgernis gab, weil Heidenchristen nicht das ganze mosaische Gesetz hielten (z.B. Apg 6,11-14; 15,1-29; 16,3; Gal 2,4f; 5,1ff). Doch nirgendwo werden Kontroversen um die Taufe als die neutestamentliche Beschneidung (Kol 2,11f) erwähnt, obwohl es für Judenchristen selbstverständlich war, daß sie ihre Kinder als Glieder des Gottesvolkes betrachteten. Aus der Zeit um 400 ist bekannt, daß Judenchristen ihre Neugeborenen sowohl beschnitten als auch getauft haben.9 Hätten die Apostel die Judenkinder, die nach wie vor beschnitten wurden, von der Taufe ausgeschlossen, so wäre das als ein erheblicher Bruch mit dem herkömmlichen Verständnis, daß Säuglinge selbstverständlich zum Gottesvolk gehören sollen, empfunden worden. Und ein derartiger Bruch sollte sich ohne Kontroversen vollzogen haben können? Jedenfalls berichtet das Neue Testament nicht darüber, obwohl es über andere theologische Streitigkeiten, die das mosaische Gesetz betreffen, wiederholt informiert.

Obwohl die Apostel angeblich die Kleinstkinder von der Taufe ausgeschlossen haben sollen – wie Gegner der Kindertaufe behaupten -, soll sich dann später die Sitte der Säuglingstaufe herausgebildet haben. Wann eigentlich soll es zu einer derartigen äußerst einschneidenden Änderung, die jedem – auch dem theologisch Unkundigsten und Uninteressiertesten – sofort aufgefallen wäre, gekommen sein? Die mündliche Überlieferung jedenfalls, auf die sich Origenes stützen kann, reicht bis in die apostolische Zeit zurück, zumindest jedoch sehr nahe an diese heran. Die Schlußfolgerung drängt sich geradezu auf, daß bereits die Apostel Säuglinge getauft haben.

 

Tertullian

Ein weiterer Zeuge, der die Kindertaufe z.T. auch kritisiert, ist der etwas frühere (ca. 160 bis nach 220) Tertullian. In jener Zeit (um 203) begegnen wir erstmalig der Neigung, den Übertritt zum Christentum hinauszuschieben, weil man im Hinblick auf die in der Taufe zu erwartende Vergebung meinte, vorher noch ungestört sündigen zu können. Tertullian ist dieser Tendenz mit Nachdruck entgegengetreten. Um so mehr überrascht es, daß er in einer zwischen 200 und 206 verfaßten Schrift für Taufaufschub in bestimmten Fällen eintrat, nämlich bei Kindern und bei Unverheirateten. Letztere sieht er besonderen Versuchungen ausgesetzt. Ihre Taufe ist aufzuschieben, „bis sie entweder heiraten oder zur Enthaltsamkeit erstarken“. Abgesehen von der Nottaufe, die Tertullian voll befürwortet, meint er, die Taufe von Kleinkindern lege den Paten eine zu große Verantwortung auf. Die Paten könnten sterben und somit ihr Versprechen nicht erfüllen. Bei den Patenkindern könnten auch schlechte Anlagen zum Vorschein kommen.

Der Zusammenhang, in dem Tertullian den Taufaufschub bei Kindern empfiehlt, deutet darauf hin, daß der Kirchenvater an Übertrittstaufen denkt und nicht an Taufen von Kindern christlicher Eltern, zumal er an anderer Stelle die Taufe von Kindern, die in christlichen Ehen und in Mischehen geboren werden, nicht nur voraussetzt, sondern auch befürwortet. Tertullian bestreitet prinzipiell nicht, daß die Taufe übertretender Heidenkinder legitim ist, sondern er bestreitet lediglich, daß sie auch zu empfehlen ist.10

Tertullians Unbehagen beim Praktizieren der Neugeborenentaufe wird von seiner Theologie her verständlich, nach der das Heil seine Ursache nicht einzig und allein in der freien Gnade habe. Der Mensch könne mehr tun, als Gott verlangt; er könne überschüssige Leistungen darbringen, um Gott zu versöhnen. Nach Tertullian werden zum Beispiel den Märtyrern durch das Blut, das sie dahingeben, alle ihre Sünden vergeben. Indem Tertullian die Buße als Leistung wertet, verliert er aus dem Blickfeld, daß man der Gnade ohne Verdienst teilhaftig wird. Die Taufe betrachtet er dann als Versiegelung des bereits in der Reue ergriffenen Glaubens.11

Daß Tertullian aus dieser seiner Theologie nicht die Konsequenz zieht, die Säuglingstaufe total abzulehnen, deutet darauf hin, daß sie eine feste Tradition ist, die er nicht umzustoßen wagt. Seine Anregung, ihre Anwendung einzuschränken, zeigt, daß es eine feststehende Sitte ist, gegen die er sich teilweise wendet.12 Es kommt noch hinzu, daß Tertullian sichtlich um Argumente verlegen ist, wenn er die Notwendigkeit der Säuglingstaufe bestreitet. Das zeigt seine etwas gequälte Argumentation, den Paten würde eine unzumutbare Verantwortung aufgebürdet. Wäre die Kindertaufe eine Neuerung, dann hätte er sich den Hinweis, es sei guter alter Brauch, Säuglinge noch nicht zu taufen, gewiß nicht entgehen lassen. Somit ist Tertullian in seinem Bemühen, die Praxis der Kindertaufe zurückzudrängen, ein Zeuge dafür, daß in Nordafrika die Säuglingstaufe eingebürgerter Brauch war.

Tertullians Einwände haben offensichtlich keinen Eindruck gemacht. Wie fest die Sitte der Kindertaufe blieb, zeigt fünfzig Jahre später eine Synode, die 251 (oder 253) in Karthago zu der Ansicht eines Bischofs Stellung nahm, die Taufe sei nach dem Vorbild der Beschneidung (abgesehen von Notfällen) erst am achten Tage nach der Geburt zu vollziehen. Selbst dieser doch gewiß immer noch sehr frühe Termin erschien den 67 anwesenden, das gesamte christliche Afrika repräsentierenden Bischöfen unannehmbar. Man hatte festgesetzt, spätestens den dritten Tag abzuwarten.13 In Fällen von Lebensgefahr wurde allerdings sofort getauft. So zeigt eine Grabinschrift aus dem dritten nachchristlichen Jahrhundert aus Nordafrika, daß ein neun Stunden nach der Geburt verstorbenes Kindchen getauft war.14

 

Weitere Zeugnisse und Hinweise

Ergänzend sei noch auf eine nichtchristliche Quelle hingewiesen. Der Statthalter von Bithynien, Plinius, erwog in einem Brief (geschrieben um 111/112), ob die „zarten“ Kinder wegen ihrer Zugehörigkeit zur Gemeinde belangt werden sollten.15 Dies deutet darauf hin, daß sie durch die Taufe zu Vollmitgliedern der Gemeinde geworden waren.

Weitere Hinweise ergeben sich aus den Ermahnungen für die Eltern. Weder im Neuen Testament (Eph 6,4; Kol 3,21; l Tim 3,4.12) noch in den Ermahnungen der ältesten Kirche begegnet uns die Aufforderung, die Kinder durch Unterweisung auf die Taufe vorzubereiten oder für ihren Taufunterricht Sorge zu tragen.16

Auf die Kindertaufe weisen auch Grabinschriften aus dem dritten Jahrhundert hin, wobei zu beachten ist, daß es christliche Grabinschriften von vor 200 nicht gibt. Daß die Kinder getauft sind, geht allerdings nur indirekt aus Wendungen wie „Knecht Christi“, „heiliges Kindchen“, „in Frieden hingegangen“, „Heiliger Geist“, „(in Gnaden) angenommen“ oder aus christlichen Symbolen hervor.17

Neben solchen Inschriften, aus denen der Tauftag nicht ersichtlich ist, gibt es solche, die den Tauftag vermerken. So wissen wir beispielsweise von einem Kind, das im Alter von einem Jahr 10 Monaten 15 Tagen die Taufe empfangen hat und am gleichen Tage gestorben ist. Wir wissen von einem elf Monate alten Kind, das nach seiner Taufe nur noch sechs Tage lebte, und von einem zwölfjährigen Knaben, der am Tage nach seiner Taufe starb.18 Da schriftliche Quellen aus jener Zeit keinen Zweifel darüber zulassen, daß es allgemein üblich war, die Kinder christlicher Eltern zu taufen, wird es sich wohl um Kinder solcher Eltern gehandelt haben, die noch nicht voll zur Gemeinde gehörten. Ein direkter Beleg für eine Missions-Nottaufe ist eine Katakombeninschrift aus dem dritten nachchristlichen Jahrhundert. Sie bezeugt ausdrücklich, daß es die Großmutter war, die auf die Taufe des 21 Monate alten Kindes gedrängt hat.19 Dies Vorkommnis ist gewiß kein Einzelfall gewesen. Mit den oben erwähnten Nottaufen von ein- bis zwölfjährigen Kindern kann es durchaus ähnlich gewesen sein.

 

Die Krise und ihre Überwindung

Daß christliche Eltern ihre Neugeborenen taufen ließen, war demnach selbstverständlich. Zu einer Krise kam es erst, nachdem sich das Taufverständnis gewandelt hatte. Man reduzierte die Wirkung der Taufe auf Sündenvergebung und verlor den Reichtum der geistlichen Wirkungen (mit Christus sterben und auferstehen, Herrschaftswechsel, Gotteskindschaft und Aufnahme in den Christusleib) aus dem Blickfeld.20 Schon 203 hatte Tertullian mit Schärfe Tendenzen bekämpft, Buße und Taufe hinauszuschieben, weil man in der Zwischenzeit noch sein Leben genießen und die in der Taufe geschenkte Sündenvergebung möglichst weitgehend ausnutzen wollte. Doch im vierten Jahrhundert griff die Sitte des Taufaufschubs außerordentlich um sich, möglichst erst auf dem Totenbett getauft zu werden. Waren es anfangs Heiden, die von der Wahrheit des Christentums überzeugt waren, ihre Taufe jedoch hinauszögerten, so griff diese Einstellung zunehmend auf die Gemeinden über. Auch christliche Eltern begannen, die Taufe ihrer Kinder hinauszuschieben. Der älteste uns bekannte Fall, in dem christliche Eltern die Taufe ihrer Kinder aufschoben, liegt im Jahre 329/30.21

Doch unabhängig von den Nottaufen lebte der Brauch, Neugeborene zu taufen, kontinuierlich fort. Die Krise der Säuglingstaufe wurde dann um 400 endgültig überwunden.22

Wir sehen also, daß es in den ersten christlichen Jahrhunderten zwar vorgekommen ist, daß christliche Eltern ihre Kinder nicht schon im Säuglingsalter taufen ließen. Doch war dies eine spätere Entwicklung. Die frühesten Quellen lassen die Schlußfolgerung zu, daß die Säuglingstaufe auf die Apostel zurückgeht. Diese Praxis stimmt auch mit den apostolischen Briefen und der Predigt Jesu überein, die die Gotteskindschaft mit allem, was dazugehört, als reines Gnadengeschenk verkündigen. Da es bei Neugeborenen besonders offensichtlich ist, daß sie sich selbst nicht für Jesus entscheiden können, ist besonders ihre Taufe eine Verkündigung der Gotteskindschaft allein durch die Gnade des Allmächtigen (Tit 3,4-7).

 

Die Taufe nach neutestamentlicher Verkündigung

Wer handelt in der Taufe?

Im allgemeinen Taufbefehl (Mt 28,19f) heißt es wörtlich: „Hingehend machet zu Jüngern alle Völker, sie taufend in den Namen (im Namen) des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes; lehrend sie halten alles, was ich euch gesagt habe. Und siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt“. Da der Auftrag, in den Namen des dreieinigen Gottes hineinzutaufen, vom Auferstandenen kommt, ist somit Jesus der eigentliche Täufer. Er ist es ebenso, wie er es eigentlich ist, der die Völker zu Jüngern macht. In dieser Hinsicht kann man die Taufe mit der von Petrus im Namen Jesu vollzogenen Heilung eines Lahmen (Apg 3,6f; 4,8-10) vergleichen. Auch wenn wir hier im griechischen Urtext eine andere Präposition vorfinden als im allgemeinen Taufbefehl, so kann man dennoch davon ausgehen, daß, wenn etwas in Jesu Namen getan wird, Jesus der eigentlich Handelnde ist.

 

In der Taufe geschieht etwas

In Rom 6,3ff lesen wir: „Oder wisset ihr nicht, daß wir, so viele in Christus Jesus hineingetauft sind, sind in seinen Tod getauft? So sind wir nun mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus auferstanden ist von (den) Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, mögen auch wir in der Neuheit des Lebens wandeln.“ Wenn Paulus die römische Gemeinde auffordert, in der Heiligung zu leben, so beginnt er seine Ermahnung mit einer Rückbesinnung auf das Ende des alten und den Beginn des neuen Lebens. Diese entscheidende Wende betrachtet er aus der Perspektive der Christen. Deshalb stellt er sie im Passiv dar. Das gilt sowohl für die grammatische Form als auch für das benutzte Bild. Der Apostel schreibt nicht: „So haben wir uns nun mit ihm durch die Taufe begraben in den Tod …“, sondern er schreibt: „So sind wir nun mit ihm durch die Taufe begraben in den Tod…“. Denn niemand kann sich selbst begraben, weder ein Säugling noch ein Erwachsener. Ebenso kann niemand selbst sein altes Leben beenden.

Paulus schreibt also nicht, daß das alte Leben als Folge der bewußten Entscheidung des Täuflings beendet werde, sondern er betrachtet den Taufvorgang ganz und gar christozentrisch. In der Taufhandlung wird der Täufling ganz eng an Christus gebunden, in das Karfreitagsereignis hineingenommen und in das Auferstehungsleben der christlichen Heiligung hineingestellt.

Da in der Taufe die große Wende geschieht, gehört sie ihrem Wesen nach an den Anfang des Christenlebens. So ist es zu erklären, daß die Apostel sehr schnell getauft haben. Als sich zu Pfingsten dreitausend Menschen bekehrt hatten, haben die Jünger Jesu die Taufe nicht durch einen langen Taufunterricht hinausgezögert (Apg 2,37-41). Der Kämmerer aus dem Mohrenland wurde ebenfalls sehr bald getauft (Apg 8,26-38). Diejenigen, die im Hause des Kornelius versammelt waren, mußten auch nicht lange auf die Taufe warten (Apg 10,47f). Beim Kerkermeister von Philippi verging weniger als ein Tag von der Begegnung mit Paulus im Gefängnis an, bis er und seine Angehörigen getauft worden sind (Apg 16,23-33). Einen Taufaufschub hätte Paulus auch nicht rechtfertigen können, zumal er ja selbst schreibt, daß wir alle (Juden und Griechen) in dem einen Geist „zu einem Leib getauft“ sind (l Kor 12,13). Den Kerkermeister und dessen Familie noch nicht zu taufen, hätte also bedeutet, Gott daran zu hindern, diese Menschen in den Leib Christi zu integrieren. Daß in der Taufe tatsächlich etwas geschieht, erwähnt Paulus auch im Galaterbrief, wo es heißt: „Ihr seid alle Söhne Gottes durch den Glauben an Christus Jesus. So viele, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen“ (Gal 3,26f).

Da nun feststeht, daß in der Taufe tatsächlich etwas geschieht, ergibt es sich wie von selbst, daß sich Paulus auf die Taufe bezieht, wenn er in Eph 5, 26 schreibt, daß sich Christus für die Gemeinde dahingegeben hat, „damit er sie heiligte, sie reinigend im Wasserbad im Wort“. Man sollte auch auf das Subjekt in dieser Aussage achten. Nicht etwa die Gemeinde, sondern Christus selbst ist es, der in jenem Wasserbad seine Gemeinde heiligt und reinigt. Wir sehen also, daß in der Taufe nicht etwa der Täufling handelt, sondern daß etwas an ihm geschieht, und zwar wird er in der Taufe wiedergeboren, wie Paulus im Titusbrief (Tit 3,4-7) schreibt: „Als aber die Güte und die Menschenliebe unseres Heiland-Gottes erschien, rettete er uns nicht aus Werken, die, in Gerechtigkeit (vollbracht), wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung im Heiligen Geist, welchen er ausgegossen hat über uns

reichlich durch Jesus Christus unseren Heiland, auf daß wir gerechtfertigt durch seine Gnade Erben würden nach der Hoffnung des ewigen Lebens“. Gott rettet also durch das Bad der Wiedergeburt. Doch wie sieht dieses von Gott geschenkte neue Leben aus?

 

Das neue Leben

Paulus schildert das neue Leben in den Kapiteln 6-8 des Römerbriefes. Dabei stellt er die Sündenknechtschaft als einen überwundenen Lebensabschnitt dar. „Dank sei Gott, daß ihr Knechte der Sünde wahret, aber von Herzen gehorsam geworden seid dem Bilde der Lehre, welchem ihr übergeben worden seid“ (Röm 6,17). Doch im gleichen Kapitel schreibt er auch von der Schwachheit des Fleisches (V. 19) und von den Begierden des Leibes (V. 12), denen man nicht gehorchen soll. Vergessen wir nicht: Paulus schreibt von den sündhaften Begierden derer, die in Jesu Tod hineingetauft (V. 3) worden sind.

Will man die schwierigen Kapitel 6-8 des Römerbriefes richtig verstehen, so ist es sehr wichtig zu erkennen, was der Apostel unter Sünde versteht. Aus Röm 7,7 geht hervor, daß Paulus die Begierde bereits als Sünde wertet. Somit hat er das Sündenbewußtsein der Bergpredigt. Sünde ist für den Apostel keineswegs nur ein Schönheitsfehler, sondern ein entsetzlich schlimmes Übel.

Hat Paulus im sechsten Kapitel des Römerbriefes das neue Leben mit Christus beschrieben, so jubelt er im achten Kapitel darüber, daß kein Verdammungsurteil für die ist, die in Christus Jesus sind. In diesem Hohenlied der Heilsgewißheit besingt Paulus die Freiheit vom „Gesetz der Sünde und des Todes“ (V. 2). „Ihr aber“ – so schreibt der Apostel – „seid nicht im Fleische, sondern im Geiste, wenn anders Gottes Geist in euch wohnt“ (V. 9). Und dennoch – auch in diesem Kapitel ist von der Sünde der Gotteskinder die Rede. „Wenn ihr aber durch den Geist die Handlungen des Leibes tötet, werdet ihr leben“ (V. 13). Es ist also noch etwas da, das zu töten ist; und dieses gewisse Etwas ist Sünde. Aufgrund seines vom Heiligen Geist geschärften Sündenbewußtseins kann sich Paulus mit diesem Zustand unmöglich abfinden. Er ist entsetzt über jeglichen Rest von Sünde, den er für äußerst schwerwiegend hält und gegen den er als ein durch Jesu Blut Gerechtfertigter mit ganzer Entschlossenheit kämpft. Nur auf dem Hintergrund dieses Eifers für die Heiligung kann man die ungeheure Dynamik von Röm 7,14-25 erfassen.

 

Röm 7,14-25

„Denn wir wissen, daß das Gesetz geistlich ist. Ich aber bin fleischlich, unter die Sünde verkauft; denn was ich vollbringe, erkenne ich nicht; denn nicht was ich will, das tue ich, sondern was ich hasse, das tue ich. Wenn ich aber das, was ich nicht will, tue, so stimme ich dem Gesetz bei,

daß es gut ist. Nun aber vollbringe nicht mehr ich dasselbe, sondern die in mir wohnende Sünde. Denn ich weiß, daß in mir, das ist in meinem Fleische, wohnt nichts Gutes; denn das Wollen ist bei mir vorhanden, nicht aber das Vollbringen des Guten. Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, so vollbringe nicht mehr ich dasselbe, sondern die in mir wohnende Sünde. Also finde ich das Gesetz für mich, der ich das Gute tun will, daß das Böse bei mir vorhanden ist.

Denn ich erfreue mich an dem Gesetz Gottes nach dem inneren Menschen; aber ich sehe ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das dem Gesetz meines Sinnes widerstreitet und mich gefangennimmt in dem Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist. Ich elender Mensch! Wer wird mich retten von dem Leibe dieses Todes? Dank dem Gott durch Jesus Christus unseren Herrn. Also nun diene ich selbst mit dem Gemüt dem Gesetz Gottes, mit dem Fleische aber dem Gesetz der Sünde.“

Manchen ist es schwer verständlich, daß es Paulus ist, der seinen augenblicklichen Glauben mit derart düsteren Worten beschreibt. Wir wissen, daß der Apostel für die Ausbreitung des Evangeliums keine Arbeit und keine Gefahr für Leib und Leben gescheut hat. Meint Paulus wirklich sich selbst, wenn er schreibt: „Ich aber bin fleischlich, unter die Sünde verkauft, … denn nicht was ich will, das tue ich, sondern was ich hasse, das tue ich“

und „Denn ich weiß, daß in mir, das ist in meinem Fleische, wohnt nichts Gutes; denn das Wollen ist bei mir vorhanden, nicht aber das Vollbringen des Guten“? Doch der griechische Urtext läßt nur die Übersetzung „ich bin“ zu. Man kann nicht übersetzen „ich war“, noch kann man das Subjekt auf einen anderen Menschen beziehen. Es bleibt dabei: Der extrem eifrige Apostel schildert seine eigene augenblickliche Lage, wenn er über seine Sünde erschrocken ist und bekennt, daß er unter die Sünde verkauft ist und daß in ihm nichts Gutes wohnt.

Entsetzlicherweise sind im Gläubigen noch fleischliche Begierden. Doch, indem Paulus schreibt: „Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, so vollbringe nicht mehr ich dasselbe, sondern die in mir wohnende Sünde“, unterscheidet er sich selbst von dem Subjekt der Sünde. Er bezeichnet den Christen selbst nicht mehr als Sünder, als unter der Herrschaft der Sünde befindlich. Denn der Glaubende ist in Christus von der Sünde losgesprochen. Die Begierden sind in ihm eben nicht mehr das quasirechtmäßige Besitzzeichen der beherrschenden Macht, sondern der unzeitige unrechtmäßige Anspruch einer Macht, der er nicht mehr unterordnet ist. Eben deshalb kann er ihnen auch widerstehen. Aber nicht dies ist der Grund, weswegen er nicht Sünder heißt, sondern umgekehrt: weil Gott ihn in Christus gerechtfertigt, ihm das Sündersein aberkannt hat, darum kann er widerstehen, und zwar aus Glauben widerstehen.23

Nach Paulus befindet sich der Gläubige in einer Art Übergangsstadium. Er eilt hin zum Vollendetwerden. Das, worauf er hineilt, ist ihm bereits vorgegeben. Recht deutlich drückt Paulus diesen Sachverhalt im Philipperbrief aus: „Nicht, daß ich es (eine Fülle geistlicher Gaben) schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei. Ich jage ihm aber nach, ob ich es ergreifen möge, indem ich von Christus Jesus ergriffen bin. Brüder, ich halte mich selbst nicht dafür, es ergriffen zu haben; eines aber tue ich: Vergessend, was dahinten, und mich ausstreckend nach dem, was vorn ist, jage ich, mich am Ziel orientierend, hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christus Jesus“ (Phil 3,12-14).

Der von Jesus Christus bereits ergriffene Apostel jagt also dem himmlischen Ziel nach. In Kol 3,2 fordert Paulus die Christen auf: „Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was auf Erden ist“. Dann folgt die Begründung: „Denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott“ (V. 3). Die Kolosser sollen als bereits Gestorbene nach den himmlischen Gütern trachten, das heißt, sie sollen in dem vollendet werden, was sie bereits als Wirklichkeit umfaßt hält. In diesem Sinne ist auch das Bild von der geistlichen Waffenrüstung (Eph 6,10-19) zu verstehen. Die von Gott geschenkte neue Wirklichkeit soll das Leben und den Kampf der Gläubigen mehr und mehr prägen.

Die Bibel spricht vom Reich Gottes nicht in dem Sinne, daß es sich erst entwickelt, sondern es ist bereits vollständig vorhanden, wenn es aus jener Welt in unsere Diesseitigkeit hineinkommt. Besonders anschaulich wird dies bei Jesu Gleichnissen vom Reich Gottes. Das Senfkorn (Mt 13,31f) entwickelt sich nicht in evolutionistischer Weise zur Senfpflanze höher, sondern im Senfkorn ist bereits die ausgewachsene Pflanze genetisch vorgegeben. Im Wachstum wird nur eine Wirklichkeit sichtbar entfaltet, die im Senfkorn bereits unsichtbar vorhanden ist. Ebenso ist es mit dem Reich Gottes. Gott hat das neue Leben in den Christen hineingelegt. Ein Außenstehender mag dies anfangs genausowenig wie die genetische Erbinformation eines Senfkorns visuell wahrnehmen. Beides ist jedoch objektiv vorhanden. Der Sauerteig (Mt 13,33), den eine Frau unter die größte Mehlmenge gemischt hat, die eine Person in einem Arbeitsgang verarbeiten kann, ist von genau der gleichen genetischen Substanz wie der gesamte Teig am Ende des Durchsäuerungsprozesses. Durch die Durchsäuerung entsteht nicht etwa eine neue Wirklichkeit, sondern die gesamte Mehlmenge wird lediglich in der Wirklichkeit vollendet, von der sie durch den von außen hinzugefügten Sauerteig umfaßt ist.

In dieser Weise versteht Paulus seine christliche Existenz. Er ist von Gott ergriffen, er ist eine Neuschöpfung. Doch anderseits erkennt er in seinen Gliedern eine andere Macht, und zwar die Sünde. Der Apostel eifert viel zu engagiert um die Heiligung, als daß er diesen Zustand als ein „sowohl Sünder als auch Gerechter“ emotionslos akzeptieren könnte. Nein, sondern jegliche Sündenerkenntnis schließt eine Kriegserklärung an die Sünde ein.

Die eine Wirklichkeit des Apostels ist: „Ich bin fleischlich, unter die Sünde verkauft; … denn nicht was ich will, das tue ich, sondern was ich hasse, das tue ich … Denn ich weiß, daß in mir, das ist in meinem Fleische, wohnt nichts Gutes … Ich elender Mensch!“ Die andere Wirklichkeit aber lautet: „So ist nun kein Verdammungsurteil für die, die in Christus Jesus sind. Denn das Gesetz (die Gesetzmäßigkeit) des Geistes des Lebens in Christus Jesus hat mich freigemacht von dem Gesetz (der Gesetzmäßigkeit) der Sünde und des Todes“ (Rom 8,1f). Von dieser ihm von Gott geschenkten neuen Wirklichkeit aus führt er einen ständigen Krieg gegen die andere Wirklichkeit, die er als Folge der Erbsünde in seinen Gliedern hat.

Daß diese neue Wirklichkeit einzig und allein ein Geschenk Gottes ist, wird am Lebenslauf des Paulus besonders deutlich. Wenn er vor seiner Bekehrung auch meinte, Gott zu dienen, so war dies doch nicht der Gott des Alten Testaments, der durch seine Propheten verheißen hat, daß er in dem Nazarener Mensch werden wird. Denn sonst hätte Paulus Jesus nicht verfolgt. An diesem Apostel wird es besonders deutlich, daß sein Ergriffensein weder auf seine Willensentscheidung noch auf seine intellektuelle Geistesarbeit zurückgeht. Seine Bekehrungsgeschichte zeigt, wie Gott der Alleinhandelnde ist. Zuerst ist also Paulus von Gott ergriffen worden, und dieses Ergriffensein ist eine volle Wirklichkeit. Das Ergriffenwerden ist eine volle Realität, bevor Paulus in dieser Wirklichkeit vollendet wird, bevor er anfängt, den Kampf der christlichen Heiligung zu kämpfen.

Nicht anders verhält es sich beim verlorenen Schaf und beim verlorenen Sohn. Das Schaf ist bereits Eigentum des Hirten, auch wenn es im Augenblick nicht bei der Herde ist. Dadurch, daß es gefunden wird, wird es in diese Wirklichkeit zurückgeholt. Das gleiche gilt für den verlorenen Sohn, den der Vater die ganze Zeit über, während der Sohn in der Fremde war, als seinen Sohn betrachtet hat. So wie der Apostel Paulus als ein bereits Ergriffener die Fülle der geistlichen Gaben ergreift (Phil 3,12), so kann der verlorene Sohn deshalb zum Vater zurückkehren, weil er bereits ein Kind des Vaters ist.

 

Die Glaubensursache

Den Ephesern wird gesagt, daß sie in Übertretung und Sünden tot waren (Eph 2,1ff). Geistlich Tote können sich genausowenig für Jesus Christus entscheiden, wie ein leiblich Toter – z.B. der tote Lazarus – sich entscheiden kann, aus dem Grabe herauszukommen. Es ist wohl nicht von ungefähr, daß die Vokabel „entscheiden“ nicht dem biblischen Sprachgebrauch entspricht. Mir ist jedenfalls keine einzige Bibelstelle bekannt, in der diese Vokabel in dem Sinne benutzt ist, daß sich Menschen für Gott entschieden hätten. Eine deutsche Konkordanz hilft auch nicht weiter. Eine griechische Konkordanz kann nicht benutzt werden, da man erst einmal wissen müßte, wie das entsprechende Wort im neutestamentlichen Griechisch heißt. Dieser Sachverhalt deutet darauf hin, daß der in evangelistischer Predigt vielgebrauchte Begriff der Entscheidung ein neuzeitlicher und gerade kein biblischer Begriff ist. Die Bibel betrachtet den Menschen eben nicht als Partner Gottes, sondern als ein Geschöpf. Sie vergleicht ihn mit einem Tongefäß, das ein Werk des Töpfers ist (Jes 45,9-13; Jer 18,5f; Rom 920f).

Wir sind nicht deshalb Kinder unseres leiblichen Vaters, weil wir uns für unsere Eltern entschieden hätten. Genausowenig sind wir deshalb Kinder Gottes, weil wir uns der göttlichen Herrschaft unterstellt hätten. Die Bibel spricht zu deutlich vom geistlichen Tod. Ein Toter kann sich eben nicht entscheiden. Es ist falsch, wenn die Bibelausgabe „Die Gute Nachricht“ den Ausdruck „Söhne des Königreichs“ in Mt 13,38 wiedergibt mit: „die Menschen, die sich der Herrschaft Gottes unterstellt haben“. Man kann nicht nachdrücklich genug betonen, daß unsere Gotteskindschaft ihre Ursache einzig und allein in Gottes Heilshandeln hat und nicht in unserer Entscheidung.

Jesus sagt zu seinen Jüngern: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und euch gesetzt, damit ihr hingehet und Frucht traget …“ (Joh 15,16) Auch der Apostel Johannes schreibt: „Darin besteht die Liebe, nicht, daß wir Gott geliebt haben, sondern daß er uns geliebt hat und seinen Sohn gesandt hat als Sühnung für unsere Sünden“ (l Joh 4,10). Wenn man Jesu Gleichnisse vom Reich Gottes betrachtet, so findet man nirgends den Gedanken, daß die Zugehörigkeit zum Gottesvolk in der eigenen persönlichen Entscheidung ihre Ursache hätte.

Den Irrtum der Pharisäer, die sich daran gestoßen haben, daß Jesus sich mit Zöllnern und Sündern, denen eine bewußte Entscheidung noch fehlte, einließ, korrigiert Jesus durch die Bilder vom verlorenen Schaf, vom verlorenen Groschen und von den verlorenen Söhnen. Das verlorene Schaf ist Eigentum des Hirten, obwohl es gerade nicht bei der Herde war (Lk 15,4-7). Das gleiche gilt vom verlorenen Groschen. Die Frau ist dessen Eigentümerin, obwohl der Groschen sich nicht dort befand, wo er hingehörte (Lk 15,8-10). Die beiden Söhne, die sich – der eine innerlich, der andere auch äußerlich – vom Vater entfernt hatten, wurden vom Vater als Söhne anerkannt, obwohl sie sich entweder gar nicht oder nur widerwillig der Herrschaft des Vaters unterstellt hatten (Lk 15,24.31f).

Weder die große Menge Süßteig, die von wenig Sauerteig durchsäuert wird (Mt 13,33), noch der Acker, auf dem das Senfkorn zur ausgewachsenen Pflanze heranwächst (Mt 13,31f), sind zu eigener Entscheidung fähig. Auch in Jesu Bild vom Guten Hirten (Joh 10) fehlt jegliche Andeutung, daß er deshalb der Hirte der Schafe wäre, weil diese sich seiner Herrschaft unterstellt hätten. In dem Gleichnis vom Weinstock und den Reben (Joh 15,l-8) ist auch nirgends angedeutet, daß eine Rebe deshalb mit dem Weinstock verbunden wäre, weil sie sich an diesen angehängt hätte. Selbst im Gleichnis von den bösen Weingärtnern (Mt 21,33-45) vergleicht Jesus seine Feinde – also Menschen, die sich gerade nicht für ihn entschieden hatten – mit Weingärtnern. Und im Johannesprolog heißt es: „Er kam in sein Eigentum, und die Seinen nahmen ihn nicht auf. Wieviele ihn aber aufnahmen, denen gab er Vollmacht, Gottes Kinder zu werden, die an seinen Namen glauben“ (Joh l,llf). Diejenigen, die ihn gerade nicht aufnahmen, werden trotzdem als „sein Eigentum“ und als „die Seinen“ bezeichnet. Allerdings kann man ähnlich, wie der verlorene Sohn vom Vater weggegangen ist, Jesus die Aufnahme verweigern. Wer dies jedoch nicht tut, der bleibt mit dem himmlischen Kraftquell verbunden, so daß er Kind Gottes im Vollsinn wird.

Mit vielen Bildern hat Jesus das Wesen seines Reiches beschrieben. Doch in allen Gleichnissen fehlt der Aspekt, daß die eigene Willensentscheidung eine Voraussetzung für die Zugehörigkeit zum Gottesvolk wäre. Dies deutet darauf hin, daß in der Bibel nicht nur die Vokabel „Entscheidung“ gemieden wird. Vielmehr ist die gesamte Denkweise, daß unsere Gotteskindschaft zumindest teilweise auch auf unserer „Entscheidung“ beruhe, neuzeitlich und gerade nicht biblisch.

Auch in der Predigt Jesu vom Reich Gottes kommt das gleiche zum Ausdruck. Das Reich der Himmel nähert sich in der Person Jesu ohne jegliches menschliche Hinzutun. Es kann jedoch nur mit einer erneuerten Gesinnung angemessen empfangen werden. Auf das Spannungsfeld, das zwischen menschlicher Unfähigkeit zur „Entscheidung“ für Christus und der Aufforderung zum Sinneswandel bzw. zur Jesusnachfolge besteht, wird noch in einem gesonderten Abschnitt eingegangen werden.24

Häufig wird behauptet, Gott habe den Menschen mit einem „freien Willen“ geschaffen, denn sonst wäre er einer Marionette vergleichbar und sein Weg in den Himmel oder in die Hölle wäre von Gott vorherbestimmt. Dieses philosophische Argument mag zwar faszinierend sein, doch es stellt sich die Frage: Wo steht geschrieben, daß der Mensch nach dem Sündenfall einen „freien Willen“ habe?

Die Auffassung – Calvin hatte sie seinerzeit mit besonderem Nachdruck vertreten -, derzufolge Gott den einen Teil der Menschen für den Himmel, den anderen jedoch für die Hölle vorherbestimmt habe, widerspricht den Berichten der Evangelien, die zeigen, wie Jesus als der Gute Hirte die Sünder liebt und ihnen nachgeht, um sie zu retten.

Dennoch ist es ein berechtigtes Glaubensanliegen, das Calvin zu seiner Auffassung führt. Gott ist allmächtig. Niemand kann seinem Willen widerstehen. Wenn Gott will, daß jemand selig wird, so erlangt der Betreffende das ewige Seelenheil, ohne daß dies irgendwer verhindern könnte. Die Tatsache, daß auch Menschen verdammt werden, konnte dann nach Calvin nur darin seine Ursache haben, daß Gott dies so entschieden habe.

Eine andere Antwort auf die Frage nach der Ursache dafür, daß die einen selig, die anderen aber verdammt werden, ist der vermeintlich „freie Wille“ des Menschen. So wie die Bibel nirgendwo sagt, Gott habe auch nur einen einzigen Menschen zur Verdammnis vorherbestimmt, so steht ebenfalls nirgendwo geschrieben, daß der Mensch nach dem Sündenfall einen freien Willen habe. Auch diese Antwort ist philosophisch. Der durch die Erbsünde (Röm 5,12-21) eingetretene Schaden ist so total, daß selbst ein Apostel Paulus von sich bekennen mußte: „Denn ich weiß, daß in mir, das ist in meinem Fleische, nichts Gutes wohnt“ (Röm 7,18). In geistlichen Dingen ist der Mensch total blind und erkenntnisunfähig (l Kor 2,14; Eph 4,18; 5,8).

Bei der Beantwortung der Frage, ob die vermeintlich freien Entscheidungen des Menschen tatsächlich frei sind, darf man sich nicht von einem politischen Freiheitsbegriff im Sinne von politischer und wirtschaftlicher Unabhängigkeit leiten lassen. Die in der Bibel bezeugte Freiheit eines Christenmenschen ist etwas ganz anderes als die Möglichkeit, sich vermeintlich frei für oder gegen Christus entscheiden zu können.

Freiheit ist immer eine Freiheit von oder zu etwas, eine Freiheit entweder von den einzelnen mosaischen Gesetzesvorschriften (Gal 5,1ff) oder eine Freiheit vom Verderben (2 Petr 2,19; 2 Kor 3,17; l Petr 2,16; 2 Tim l,10). Niemand kann sich „frei“ entscheiden. Ist er in der Sklaverei des Teufels, so kann er es nicht. Hat ihn Christus daraus errettet, dann wurde er nicht in einen spannungsfreien Raum versetzt, wo er im Sinne des neuzeitlichen existentialistischen Denkens vermeintlich frei seinen Weg selbst wählen könnte. Sondern Jesus versetzt die Geretteten in sein Reich (Kol l,13), denn nur dort gibt es Rettung (Apg 4,12). In der Bibel werden wir nicht aufgefordert, dem Ideal eines vermeintlich freien Menschen nachzueifern, der sich in seiner „Freiheit“ in der einen oder anderen Weise „entscheiden“ könnte, sich aber für Christus „entscheidet“. Sondern das Leitbild ist: ganz in Jesu Lebensweg einzugehen, mit Christus gekreuzigt und begraben zu werden und ein neues Leben zu führen (Röm 6,1-13; Gal 2,20; Kol 3,3ff; 2 Tim 2,11).

Daß Gottes Erwählung nicht eine Antwort auf die eigene „Entscheidung“ ist, zeigen auch die Beispiele der heilsgeschichtlichen Berufung des Isaak und des Jakob, die bereits vor deren Geburt geschah (Röm 9,7-13). Jeremia wurde ebenfalls vor seiner Geburt zum Propheten bestimmt (Jer 1,5), und Johannes der Täufer ist von Mutterleibe an mit dem Heiligen Geist erfüllt worden (Lk 1,15). Doch hier drängt sich die Frage auf, ob ein Ungläubiger mit dem Heiligen Geist erfüllt sein kann. Falls man dies verneint, haben wir das Problem, wie es möglich ist, daß ein Neugeborener oder gar ein Embryo bereits glauben kann. Dies führt zu der Frage: Was ist Glauben?

 

Was ist Glauben?

Wiederholt spricht die Bibel von der Gottesgerechtigkeit aus dem Glauben. „Denn wir urteilen, daß ein Mensch durch Glauben gerechtfertigt wird, ohne Gesetzeswerke“ (Rom 3,28). Bedeutet dies, daß wir durch die Entscheidung für den Glauben gerechtfertigt werden? Wäre dies so, dann wäre ja der Glaube zumindest teilweise eine menschliche Tat und somit ein Werk des Menschen. Doch einen derartigen Gedanken, der sich bei der Predigt der Rechtfertigung allein durch den Glauben aufdrängt, verneint Paulus an anderer Stelle schon im Ansatz ganz entschieden. In Eph 2,8 schreibt er ähnlich wie im Römerbrief: „Aus Gnaden seid ihr gerettet, durch den Glauben.“ Doch sofort ergänzt er: „Und dies nicht aus euch, Gottes Gabe (ist es); nicht aus den Werken, auf daß niemand sich rühme“. Es besteht deshalb kein Grund zum Rühmen, weil der rechtfertigende Glaube einzig und allein ein Geschenk Gottes und kein Werk des Menschen ist. Auch im Römerbrief beugt Paulus dem eventuellen Mißverständnis vor, die Rechtfertigung aus Glauben auf den Glaubensgehorsam zu gründen. Dies tut er im vierten Kapitel ausgerechnet am Beispiel des Abraham, der nach pharisäischer Vorstellung durch seinen Glaubensgehorsam gerecht geworden ist.25 Zwar sagt er, indem er das Alte Testament zitiert: „Abraham aber glaubte Gott, und es wurde ihm zur Gerechtigkeit gerechnet“ (V. 3). Doch zuvor steht: „Denn wenn Abraham aus Werken gerechtfertigt worden ist, hat er etwas zum Rühmen, aber nicht vor Gott“ (V. 2). Und danach heißt es: „Dem aber, der mit Werken umgeht, wird der Lohn nicht nach Gnaden zugerechnet, sondern nach Schuldigkeit“ (V. 4). Somit ist der Glaube nicht ein Werk des Menschen, sondern Gott schenkt die Rechtfertigung. Gott wirkt durch seinen Geist neues geistliches Leben. Zu diesem Leben gehört auch der Glaube, durch den die geistlichen Gaben empfangen werden können. Der Glaube ist keine menschliche Vorleistung, sondern er ist ein Geschenk des Heiligen Geistes. Niemand kann glauben, niemand kann zu Gott umkehren, es sei denn, der Heilige Geist wirkt dieses Wunder (l Kor 12,3).

Daß der Glaube ein Werk des Heiligen Geistes ist, wirkt sich bis in das Gebet hinein aus, wie Paulus in Röm 8, 26f schreibt: „Der Geist steht uns in unserer Schwachheit bei; denn wir wissen nicht, was wir bitten sollen, wie sich’s gebührt, aber der Geist selbst verwendet sich für uns in unaussprechlichen Seufzern. Der aber die Herzen erforscht, weiß, was die Gesinnung des Geistes ist, denn er verwendet sich für Heilige Gott gemäß.“ Besonders deutlich wird dieser Sachverhalt beim Zungengebet.

 

Der Kinderglaube

Die Erkenntnis, daß Glaube nicht das Ergebnis der eigenen Entscheidung, sondern ein Geschenk Gottes ist, hilft verstehen, wieso Jesus vom Glauben kleiner Kinder sprechen kann. Er gesteht den Kindern nicht nur Glauben zu, sondern er stellt diesen den Erwachsenen sogar als Vorbild hin. Als die Jünger Jesus fragten, wer der Größte im Himmelreich ist, rief er ein Kind, stellte es in ihre Mitte und sagte: „Wahrlich, ich sage euch, wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen. Wer sich selbst erniedrigt wie dies Kind, der ist der Größte im Himmelreich. Und wer ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf. Wer aber Ärgernis gibt einem dieser Kleinen, die an mich glauben, dem wäre es besser, daß ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ersäuft würde im Meer, wo es am tiefsten ist“ (Mt 18,1-6). Der Zusammenhang zeigt, daß Jesus tatsächlich Kinder meint, wenn er von den Kleinen, die an ihn glauben, spricht. Und als bei seinem Einzug in Jerusalem Kinder im Tempel zum Entsetzen der damaligen geistigen Führungselite schrieen: „Hosianna, dem Sohne Davids“, da weist Jesus auf das Psalmwort hin: „Aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast du Lob zugerichtet“ (Mt 21,15-17). Christus wertet diese Glaubensäußerung also keineswegs ab.

Besonders im sogenannten Kinderevangelium spricht er den ganz kleinen Kindern das Reich Gottes zu. „Und sie brachten zu ihm ganz kleine Kindlein, damit er sie anrührte. Da es aber die Jünger sahen, verwehrten sie es ihnen. Jesus aber rief sie herzu, indem er sprach: Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht; denn solcher ist das Reich Gottes. Wahrlich ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht annimmt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen“ (Lk 18,15-17). Das griechische Wort, mit dem Lukas hier von ganz kleinen Kindlein spricht, benutzt er in Kapitel 1, Vers 44, um auszudrücken, daß der Embryo Johannes vor Freude im Leibe seiner Mutter hüpfte, als diese von Jesu Mutter gegrüßt worden war. Die Tatsache, daß Lukas die gleiche Vokabel wie auch für einen Embryo benutzt, zeigt, daß es wirklich sehr kleine Kinder waren, die man zu Jesus gebracht hat. Dies erklärt auch den Unwillen der Jünger, die es für unangebracht gehalten haben, ihren Meister mit Säuglingen zu belästigen, die ja doch nichts begreifen können. Aber in Jesu Augen verläuft der Zugang zum Reich Gottes ohnehin nicht über intellektuelle Verstandesleistungen. Jesus sagt diesen ganz kleinen Kindern das Himmelreich zu, ohne sie zu fragen, ob sie es überhaupt haben wollen.

Den Jüngern, die den Kleinstkindern gewehrt hatten, zu Jesus zu kommen, hat der Auferstandene am Himmelfahrtstage geboten, „alle Völkern“ zu taufen (Mt 28,19). Wie sollten die Apostel nach dieser Vorgeschichte die Neugeborenen ausgeschlossen haben, als sie darangingen, „alle Völker“ durch die Taufe ins Reich Gottes, in die christliche Gemeinde, aufzunehmen? Warum sollen nicht bereits schon Kleinkinder singen dürfen: „Weil ich Jesu Schäflein bin…“?

Manchmal haben Kinder Erwachsenen sogar etwas im Glauben voraus. Wie hätte Jesus denn sonst den Kinderglauben als Vorbild hinstellen können? Wenn ein noch nicht schulpflichtiges Kind spielend verkündet: „Ich bin der Knabe Gottes. Gott hat euch alle lieb“, so ist dies eine Predigt, die das Zentrum der Botschaft Jesu voll erfaßt. Muß dieser kleine Prediger vorerst noch ungetauft bleiben, nur weil er die christliche Botschaft noch nicht auf der intellektuellen Ebene der Erwachsenen verkündigen kann? Ein ähnliches Problem haben wir am Ende des Menschenlebens. Was ist, wenn jemand auf dem Sterbebett das klare Bewußtsein verliert und nur noch wirres Zeug redet? Hört er deshalb auf, ein Gotteskind zu sein?

Aber es wird eingewendet, daß ein „Bund“ nur zwischen zwei Seiten geschlossen werden könne. Da ein Neugeborener mit Gott noch keinen „Bund“ schließen kann, dürfe er noch nicht getauft werden. Wir gehen diesem Einwand nach und untersuchen, wer nach der Bibel den „Gottesbund“ schließt.

 

Mögliche Einwände

Wer schließt den „Bund“?

In Bibelübersetzungen kann man wiederholt vom „Bund“ Gottes mit den Menschen lesen. Wenn es richtig ist, daß nicht wir Jesus erwählt haben, sondern daß Jesus uns erwählt hat (Joh 15,16), wie sind dann die Bibelstellen, die vom „Gottesbund“ handeln, zu verstehen? Die deutsche Vokabel „Bund“ bezeichnet eine Übereinkunft zwischen mehr oder weniger gleichberechtigten Partnern. Doch die Bibel vergleicht die Beziehung des Schöpfers zu den Geschöpfen mit derjenigen eines Töpfers zu seinen Werken (Jes 45,9-13; Jer 18,5f; Röm 9,20f). Sowenig wie ein Gefäß mit seinem Töpfer einen Vertrag schließen kann, ebensowenig kann ein Mensch ein Bündnispartner Gottes sein.

Nicht Gott und Mensch handeln miteinander einen Vertrag aus, sondern Gott gibt einseitig seine Forderungen als auch seine Gnadenzusagen kund. Und das ist nicht erst seit dem Sündenfall so, sondern bereits schon seit der Schöpfung. Gott hat im Paradies einseitig geboten: „Du ißt von allen Bäumen im Garten, aber von dem Baum der Erkenntnis (von) Gut und Böse ißt du nicht von ihm. Denn an dem Tage, da du von ihm issest, verfällst du dem Tode“ (1 Mo 2,16f). Nachdem Adam und Eva erkannt hatten, daß ihr Ungehorsam die Katastrophe für das gesamte Menschengeschlecht bedeutet, schlossen nicht etwa Gott und die ersten Menschen einen Vertrag mit dem Ziel, das Menschengeschlecht zu retten, sondern Gott verhieß einseitig den Weltheiland, der der Schlange den Kopf zertreten wird (l Mo 3,15).

Wenn im Alten Testament immer wieder davon die Rede ist, daß Gott mit Menschen einen „Bund“ schließt, so ist bereits schon das Wort „Bund“ eine Fehlübersetzung, denn das traditionell mit „Bund“ übersetzte hebräische Wort bezeichnet auch im zwischenmenschlichen Bereich eine Verpflichtung, sei es eine Selbst- oder Fremdverpflichtung. Josua schloß mit den Gideonitern einen „Bund“ im Sinne von Selbstverpflichtung, sie am Leben zu lassen (Jos 9,15).26

Ein „Bund“ kann auch eine Verpflichtung sein, die einer dem anderen auferlegt, z.B. der Abimelech dem Isaak (1 Mo 26,28f) oder ein Sieger dem Besiegten (z.B. Hes 17,13f). Auch Josua hat den Israeliten den „Bund“ auferlegt, dem HERRN zu dienen (Jos 24,25). Im zwischenmenschlichen Bereich kann die Verpflichtung („Bund“) wechselseitig sein und die Funktion einer Übereinkunft erfüllen wie z.B. beim „Bund“, den Salomo und Hiram schlossen (1 Kö 5,26b).27 Der „Gottesbund“ hingegen ist jedoch immer einpolig und somit gerade kein Bund, sondern eine einseitige Festsetzung Gottes.

Diese Linie zieht sich durch die ganze Bibel. So sagt Gott zu Noah nach der Sintflut: „Siehe, ichrichte meinen ‚Bund’ auf mit euch und mit eurer Nachkommenschaft nach euch und …“ (l Mo 9,9). Und vom Regenbogen heißt es: „Das (ist) das Zeichen des ‚Bundes’, den ichgetan habe zwischen mir und zwischen euch …“ (1 Mo 9,12). Zu Abraham sprach Gott: „Und ich werde meinen ‚Bund’ errichten zwischen mir und zwischen dir und zwischen deinem Samen nach dir …“ (1 Mo 17,7). Wenn Stephanus in seiner Rede vor dem Hohenpriester auf den „Abrahambund“ Bezug nimmt, sagt er, daß Gott dem Erzvater den „Bund“ der Beschneidung gab (Apg 7,8).28 Im Zusammenhang mit einer Sünde Israels sagt Gott zu Josua: „Und auch haben sie übertreten meinen ‚Bund’, den ich ihnen geboten habe“ (Jos 7,11). Es ist ebenfalls einpolig, wenn Gott im Blick auf den Messias dem greisen David zusagt, daß sein Thron ewiglich bestehen soll (2 Sam 7,11-16). „Einen ‚Bund’ habe ich mit meinem Erwählten aufgerichtet, habe David, meinem Knecht, geschworen: ‚Bis in Ewigkeit werde ich deinen Samen befestigen und von Generation zu Generation deinen Thron bauen’“ (Ps 89, 4f). Ernst Kutsch weist darauf hin, daß nirgendwo im Alten Testament Gott und Mensch gemeinsam als Subjekt eines „Bundes“ genannt werden.29

Auch im Neuen Testament werden „Bund“ bzw. die Zusagen Gottes immer als einpolig angesehen. So spricht der Galaterbrief von den Verheißungen, die dem Abraham und seinem Samen zugesagt sind (Gal 3,16). Und vom neuen „Bund“, von dem sowohl im Alten Testament (Jer 31,31ff) als auch im Hebräerbrief die Rede ist (Hebr 8,10), heißt es auch ganz eindeutig, daß Gott es ist, der ihn errichtet. In den Berichten über die Bekehrung des Paulus (Apg 9,1-19; 22,4-21) finden wir nichts von einer Mitwirkung des späteren Apostels. Wir lesen nicht, daß seine Umkehr auch nur teilweise darauf beruhe, daß er sein Leben Jesus übergeben hätte; sondern Gott reißt den geistlich blinden Saulus aus seinem falschen Weg heraus und macht ihn zu seinem Werkzeug.

Völlig absurd wäre es, wollte man den „Bund“ in den Abendmahlstexten als Vertrag zwischenzwei Partnern auffassen. Die Situation ist doch die, daß Jesus in dem Bewußtsein des nahen Todes sein Leben ganz bewußt als Bezahlung für die Sünden der Menschen hingibt. Während er von seinen Jüngern Abschied nimmt und das Abendmahl für die Zwischenzeit bis zu seiner Wiederkunft als Fortsetzung der irdischen Tischgemeinschaft, die er zu Lebzeiten mit ihnen hatte, einsetzt, spricht er von seinem Blut „des Bundes“ (Mt 26,28; Mk 14,24) und vom „neuen Bund“ in seinem Blut (Lk 22,20; 1 Kor 11,25). Zusammenfassend kann man festhalten: Nirgendwo in der Bibel erscheinen Gott und Mensch gemeinsam als Subjekt eines „Bundes“. Immer ist es Gott allein, der seinen „Bund“ aufrichtet.

Wenn das so ist, wie sind dann folgende Bibelstellen zu verstehen?

2 Kö 11,17: „Und Jojada machte einen ‚Bund’ zwischen dem HERRN und dem König und dem Volke, das Volk des HERRN zu sein“.

2 Ch 29,10: „Nun ist es in meinem [Hiskias] Herzen, einen ‚Bund’ zu machen mit dem HERRN, dem Gott Israels, daß er die Glut seines Zornes von uns abwende“.

2 Kö 23,3: „Und der König [Josia] stand auf der Säule und machte den ‚Bund’ vor dem HERRN, dem HERRN nachzuwandeln und seine Gebote und seine Gesetze und seine Festsetzungen zu beobachten mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele, um die Worte dieses ‚Bundes’ aufzurichten, welche in diesem Buche geschrieben sind. Und das ganze Volk trat in den ‚Bund’“.

Jer 34,15b: „Und ihr habt einen ‚Bund’ vor mir gemacht“.

2 Ch 15,12: „Und sie gingen den ‚Bund’ ein, den HERRN, den Gott ihrer Väter, zu suchen mit ihrem ganzen Herzen und mit ihrer ganzen Seele“.

Aus dem Neuen Testament kann man hinzufügen, daß Jesus zu Petrus sagt: „Wenn du dich dermaleinst bekehrst, stärke deine Brüder“ (Lk 22,32).

Jesus spricht also davon, daß es Petrus ist, der sich bekehren wird oder es zumindest tun soll.

Somit gibt es durchaus Aussagen in der Bibel, die besagen, daß Menschen einen „Bund“ mit Gott schließen, daß Geschöpfe zu Gott umkehren.30 Um so verwunderlicher ist es, daß es in der Bibel kein einziges Beispiel dafür gibt, daß Gott und Mensch gemeinsam einen „Bund“ aufrichten, daß Gott und Mensch gemeinsam das Werk der Umkehr vollbringen. Dieses Spannungsfeld ist in der Weise zu verstehen, wie es bereits für die Auslegung von Röm 7 gezeigt worden ist. Auch für unseren Zusammenhang trägt Phil 3,12 viel zum Verständnis bei: „Nicht daß ich es schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei. Ich jage aber nach, ob ich es auch ergreifen möge, indem ich von Christus Jesus ergriffen bin“. Der bereits ergriffene Paulus trachtet danach, die himmlischen Güter zu ergreifen.

Da in der Bibel selbst (z.B. Eph 2,5) geistliche Vorgänge mit Tod und Leben verglichen werden, ist es nicht abwegig, den Vorgang der Bekehrung durch die Auferweckung des Lazarus (Joh 11,1-45) zu veranschaulichen. Christus hatte den Lazarus ganz allein auferweckt. Er hatte ihn nicht einmal gefragt, ob er überhaupt zum Leben erweckt werden will. Doch nach jenem Wunder gehorchte der Auferweckte der Stimme Jesu und tat, wozu Christus ihn aufforderte, nämlich aus dem Grab herauszukommen. Zwar hatte allein Jesus ihn lebendig gemacht, doch er hat ihn nicht aus dem Grabe herausgetragen. Lazarus mußte schon selbst aus dem Grabe herauskommen. Hätte er der Stimme seines Retters nicht gehorcht, dann wäre er im Grabe geblieben, wäre dort verhungert, und die ganze Auferweckung hätte ihm nicht viel genutzt. Somit ist der Glaubensgehorsam eine Art Voraussetzung, um als Auferweckter am Leben zu bleiben.

So wie es allein Jesus war, der Lazarus lebendiggemacht hat, so wie Lazarus nichts und auch gar nichts zu seiner Auferweckung beigetragen hat, so ist es Gott allein, der immer wieder seinen „Bund“ mit Menschen aufgerichtet hat. Bekehrt sich jemand, der vormals in Sünden tot (Eph 2,5) war, so ist das allein ein Geschenk Gottes, wie dies bei der Bekehrung des Paulus besonders offensichtlich ist. In der Weise, wie der bereits ergriffene Apostel ergreift (Phil 3,12) und wie der ohne jegliches eigene Hinzutun lebendiggemachte Lazarus aus dem Grabe heraussteigt und zu Jesus kommt, ist es zu verstehen, daß z.B. alttestamentliche Könige oder das Volk einen „Bund“ mit dem HERRN schließen. Sie können nur deshalb einen „Bund“ schließen, weil Gott längst zuvor einen „Bund“ mit seinem Volk geschlossen hat.

Der Mensch hat durchaus die Möglichkeit, sich dem Heilshandeln Gottes entgegenzustellen. Der von Gott ergriffene Paulus hatte durchaus die Möglichkeit, die himmlischen Güter nicht zu ergreifen; und der auferweckte Lazarus hätte durchaus in der Grabhöhle bleiben können. Doch dadurch hätten sich beide die Segnungen des neuen Lebens verbaut. Es ist eine grundlegende biblische Wahrheit, daß Ungehorsam oder Widerstand gegen das Wort Gottes nicht ohne Folgen bleiben. Das erste Beispiel ist, daß Gott den ersten Menschen den Tod androht, wenn sie von der verbotenen Frucht essen (l Mo 2,17). In dieser Weise muß man die wenigen Bibelstellen verstehen, in denen Gott seine Zusagen an bestimmte Bedingungen knüpft. So sagt Gott zum Volke Israel:

„Und nun, wenn ihr fleißig auf meine Stimme hören und meinen ‚Bund’ halten werdet, so werdet ihr mein Eigentum sein aus allen Völkern“ (2 Mo 19,5).31

„Höret auf meine Stimme, so werde ich euer Gott sein, und ihr werdet mein Volk sein; und wandelt auf dem ganzen Wege, den ich euch gebiete, auf daß es euch wohlgehe“ (Jer 7,23).

„Den Verschnittenen, welche meine Sabbate halten und das erwählen, woran ich Gefallen habe, und festhalten an meinem ‚Bund’, ihnen gebe ich in meinem Hause und in meinen Mauern einen Platz und einen Namen, besser als Söhne und Töchter. Einen ewigen Namen werde ich ihm geben, der nicht ausgerottet wird. Und die Söhne der Fremde, die sich dem HERRN angeschlossen haben, um ihm zu dienen und den Namen des HERRN zu lieben, ihm zu Knechten zu sein – einem jeden, der den Sabbat hält, daß er ihn nicht entweihe, und die da festhalten an meinem ‚Bunde’, die werde ich zu meinem heiligen Berge bringen und sie erfreuen in meinem Bethause; ihre Brandopfer und ihre Schlachtopfer (sind) zum Wohlgefallen auf meinem Altar“ (Jes 56,4-7).

In der Bibel wird unser Christenleben mit dem Leben Jesu verglichen: mit Jesus leiden, mit Jesus sterben, mit Jesus auferstehen und mit ihm ein neues Leben führen (z.B. Röm 6,3f). Wir werden nicht dadurch vom geistlichen Tod auferweckt, weil wir in einem neuen Leben wandeln, sondern umgekehrt: Zuerst werden wir auferweckt; und erst dadurch können wir überhaupt im neuen Leben wandeln. Dieses neue Leben erfolgt in der Verantwortung vor Gott. Im Jüngsten Gericht werden wir nach unseren Taten gefragt werden. Wir werden gefragt werden, ob wir nach Jesu Weisung uns bemüht haben, mit den anvertrauten Gaben (Mt 25,14-30; Lk 19,11-26) Gewinn zu erwirtschaften, oder ob wir sie in der Erde vergraben haben. Wir sollen Frucht bringen. Aber das geistliche Leben bzw. der Glaube, die ja Voraussetzungen dazu sind, sind einzig und allein ein Geschenk Gottes.

Trotzdem fordert Jesus in seiner Predigt wiederholt auf, daß wir uns bekehren und an ihn glauben sollen. Wer soll nun eigentlich das Werk der Umkehr oder des Glaubens vollbringen? Jesus oder wir?

 

Wer bewirkt die Umkehr?

Wiederholt ist bereits angeklungen, daß es zwei scheinbar gegensätzliche Gruppen von Schriftaussagen gibt. Immer wieder werden in der Bibel Menschen zum Glauben und zur Umkehr aufgefordert. Es drängt sich die Frage auf, wie derartige Imperative mit solchen Schriftaussagen vereinbar sind, die beinhalten, daß der Mensch völlig verdorben und weder zur rechten Gotteserkenntnis noch zur Umkehr fähig ist.

Folgende Bibelstellen zeigen, daß sich wegen der Erbsünde (Rom 5,12ff) niemand selbst für Jesus Christus entscheiden kann:

Röm 7,18: „Denn ich weiß, daß in mir, das ist in meinem Fleische, nichts Gutes wohnt“.

1 Mo 8,21: „Denn das Sinnen des menschlichen Herzens (ist) böse von seiner Jugend an“.

Joh 3,6: „Was aus dem Fleische geboren ist, ist Fleisch; was aus dem Geiste geboren ist, ist Geist“.

Von den Heiden ist gesagt, daß ihr Verstand verfinstert, ihr Herz verstockt ist, daß sie dem Leben aus Gott entfremdet sind und einen üblen Wandel führen (Eph 4,18f).

1 Kor 1,18: „Denn das Wort vom Kreuz ist für die, welche verlorengehen, eine Torheit“.

l Kor 1,23: „Wir aber predigen Christus (als) gekreuzigt, den Juden ein Ärgernis, den Nationen eine Torheit“.

1 Kor 2,14: „Der natürliche Mensch aber nimmt nicht an, was des Geistes Gottes, denn es ist ihm eine Torheit, und kann es nicht erkennen, weil es geistlich beurteilt wird“.

Joh 15,16: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und gesetzt, damit ihr hingehet und Frucht traget…“

1 Joh 4,10: „Darin besteht die Liebe, nicht, daß wir Gott geliebt haben, sondern daß er uns geliebt hat und seinen Sohn gesandt hat als Sühnung für unsere Sünden“.

Ausgerechnet der natürliche Mensch, dessen Unvermögen so deutlich bezeugt wird, wird aufgefordert umzukehren. So predigen sowohl Johannes der Täufer (Mt 3,2) als auch Jesus (Mt 4,17): „Ändert eure Gesinnung, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen“. Jesus fordert in der Bergpredigt: „Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit“ (Mt 6,33) und „Gehet ein durch die enge Pforte“ (Mt 7,13). Später fordert Petrus sowohl in seiner Pfingstpredigt (Apg 2,38) als auch bei der Heilung eines Lahmen (Apg 3,19) die Juden auf: „Ändert eure Gesinnung!“ Und den Zauberer Simon ermahnt er: „Kehre um von dieser deiner Bosheit!“ (Apg 8,22).

In der Bibel wird nicht nur eine neue Geisteshaltung der Umkehr verlangt, sondern auch die Früchte der Buße werden gefordert, d.h. die Werke der Heiligung (Mt 3,8; Röm 6,13; Kol 2,6). Zu der von Gott gebotenen Umkehr und den Werken der Heiligung kommt noch hinzu, daß Jesus auch zum Glauben auffordert. In Joh 12,36 sagt er: „Glaubet an das Licht, damit ihr Söhne des Lichtes werdet.“ Als sich die Jünger Jesu gewundert hatten, daß ihr Meister so ohne weiteres einen Feigenbaum verdorren lassen konnte, sagt Christus: „Habt Glauben (in) Gott“ (Mk 11,22). Als Jairus die Nachricht erhielt, daß seine Tochter gestorben war, bekam er zu hören: „Fürchte dich nicht, glaube nur“ (Lk 8,50; Mk 5,36). Dem Thomas, der anfangs der Osterbotschaft nicht glauben wollte, ruft der Auferstandene zu: „…sei nicht ungläubig, sondern

gläubig“ (Joh 20,27). Auch der Apostel Paulus fordert zum Glauben auf. So sagt er dem Kerkermeister in Philippi: „Glaube an den Herrn Jesus, und du und dein Haus wird gerettet werden“ (Apg 16,31).

Einerseits ist es einzig und allein ein Geschenk Gottes, wenn jemand zum Christusglauben kommt; andererseits sind es Menschen, die aufgefordert werden umzukehren und zu glauben. Wiederholt wird behauptet, daß diese Aufforderungen beweisen, Menschen besäßen zumindest etwas Fähigkeit umzukehren und zu glauben. Denn sonst wären derartige Imperative sinnlos. Doch wenn man bedenkt, daß Jesus auch von Lahmen, Blinden und Toten verlangt hat, sie sollen gehen, sehen bzw. auferstehen, dann wird dieses Argument hinfällig. Nicht weil sie dazu fähig waren, konnten sie Jesu Aufforderungen nachkommen, sondern sie konnten es deshalb tun, weil im Worte Gottes die Kraft liegt, das zu bewirken, wozu es auffordert.

Das Spannungsfeld, das zwischen dem Handeln Gottes und den Aufforderungen zur Umkehr und zum Glauben besteht, hat man im Sinne der folgenden Grafik zu erklären versucht:

 

Gott Umkehr Mensch

 

Man meint, Gott wirke entscheidend die Umkehr. Im Vergleich dazu sei der Beitrag des Menschen äußerst geringfügig.

Bei diesem Verständnis erscheinen Gott und Mensch als zwei Partner, die gemeinsam die Leistung der Umkehr erbringen, wenn auch zu völlig unterschiedlichen Anteilen. Gott und Mensch wären zwei Pferden vergleichbar, die gemeinsam einen Wagen ziehen. Allerdings würde es sich um ein extrem kräftiges Pferd und ein sehr schwaches Pferd, das kaum sein eigenes Gewicht tragen kann, handeln. Das Fremdwort für diese Betrachtungsweise lautet „Synergismus“. Was den Synergismus so attraktiv macht, ist, daß einerseits zwar das Handeln Gottes als entscheidend für die Umkehr des Menschen angesehen wird, andererseits aber die unbestreitbar vorhandenen biblischen Aufforderungen zur Umkehr und zur Jesusnachfolge nicht ihre Berechtigung verlieren.

Doch gegen den Synergismus muß die Tatsache geltend gemacht werden, daß in der Bibel der Unglaube nicht etwa mit Krankheit und Schwäche verglichen wird, sondern mit dem Tod (Lk 15,24; Kol 2,13; Eph 2,1.5). Im Bild gesprochen, ziehen nicht etwa ein kräftiges und ein krankes Pferd gemeinsam einen Wagen, sondern ein kräftiges Pferd und ein totes Pferd befinden sich vor einem Wagen. Das tote Pferd ist nicht nur keine Hilfe, sondern eine zusätzliche ganz erhebliche Behinderung.

Trotzdem gibt es Bibelstellen, die zeigen, wie Gott nicht nur am Menschen handelt, sondern diesen oftmals in sein Heilshandeln einbezieht. Beispiele hierfür gibt es bereits bei Jesu Wundern. Uns wird berichtet, daß Blinde schrieen (Mt 20,30) und daß sie zu Christus in den Tempel kamen (Mt 21,14). In gewisser Weise kann man sagen, daß sie es waren, die schrieen, die zu Jesus kamen, so daß Jesus auf dieses ihr Handeln hin seine Heilungswunder folgen ließ. Diese Berichte sollte man aber nicht in der Weise mißverstehen, daß die Entscheidung, Jesus um Hilfe zu bitten, die Voraussetzung für die Heilungen gewesen wäre. Denn Christus hat auch Besessene gereinigt (Mt 8,29-32); er hat somit auch solchen Menschen geholfen, die selbst nicht erkennen konnten, daß sie Hilfe nötig hatten. Bei einem Wunder (Joh 9,6f) bindet Jesus sogar einen Blinden in den Heilungsprozeß ein. Er tat einen Brei auf dessen Augen. Doch erst bei der Tat des Blinden, und zwar als dieser sich wusch, wich die Blindheit.

Wie Gott Menschen sogar dann in sein Heilshandeln mit einbezieht, wenn er ihnen geistliche Gaben gibt, kommt im Philipperbrief zum Ausdruck: „Bewirket eure eigene Seligkeit mit Furcht und Zittern; denn Gott ist es, der in euch wirket sowohl das Wollen als auch das Wirken nach (seinem) Wohlgefallen“ (Phil 2,12ff). Gott allein wirkt das Wollen und das Vollbringen, doch er wirkt es durch Menschen, so daß diese subjektiv beteiligt sind. Dies kommt auch an anderer Stelle deutlich zum Ausdruck. In Rom 16,20 heißt es: „Der Gott des Friedens wird in kurzem den Satan unter eure Füße treten“. Gott tritt den Satan nieder; aber es sind die Füße der Gläubigen, unter die Gott den Satan treten wird.

Wenn die Seligkeit bewirkt wird, wenn der Satan niedergetreten wird, so ist Gott das Subjekt dieser Taten. Aber auch der Mensch ist Subjekt der gleichen Taten. Wir haben gesehen, daß diese Zweisubjektigkeit nicht mit Synergismus verwechselt werden darf. Das gilt auch für das Verständnis von Joh l,12, wo es von denen, die Christus aufnahmen, heißt, daß Jesus ihnen Vollmacht gab, Kinder Gottes zu werden. Auch bei dieser Aussage ist vorauszusetzen, daß sowohl das Wollen als auch das Wirken allein in Gott ihre Ursache haben. Wie beides allein auf Gott zurückgeht, so führt es Gott allein herbei, daß Menschen Jesus aufnehmen und Gotteskinder werden. Aber er wirkt durch Menschen hindurch. Deshalb schreibt der Apostel Johannes, daß es Menschen waren, die Jesus aufnahmen. Nicht nur Gott, sondern auch Menschen sind das Subjekt dieser Tat.

Man darf diese Zweisubjektigkeit nicht in der Weise mißverstehen, daß Gott den Löwenanteil von 99% der Umkehr wirke, zu dem der Mensch den geringen Rest von nur einem Prozent hinzuzufügen hätte. Verstünde man die Zweisubjektigkeit in diesem Sinne, dann wäre der äußerst geringe Beitrag des Menschen ein sehr wesentlicher Faktor. Dieser Beitrag wäre vergleichbar mit der zwar äußerst geringen, aber dennoch alles entscheidenden Energiemenge, die durch ein Zündkabel zu der großen Menge der Energie einer Sprengladung hinzugeführt wird.

Doch so ist es bei der Bekehrung gerade nicht. Gott wirkt das Werk der Umkehr ganz allein. Aber er wirkt es durch den Menschen hindurch. Er gestaltet dessen Denken und Wollen um. Die Bibel spricht von einem neuen, gereinigten Herzen (Ps 51,12; Jer 24,7; 31,33; Mt 55,8). Und dieses ist einzig und allein ein Geschenk Gottes. Doch wessen Herz vom Heiligen Geist verändert worden ist, der bekehrt sich nicht nur einmal, sondern der führt auch einen ständigen Kampf gegen die Sünde (Eph6,10ff; Röm6,6).

Diese Zweisubjektigkeit, bei der Gott durch den Menschen hindurch wirkt, soll durch folgende Grafik veranschaulicht werden:

Gott

 

Mensch

 

Umkehr

 

Nicht Synergismus, nicht ein Zusammenwirken von göttlicher und menschlicher Energie ist die Ursache für die Umkehr. Sondern Gott ist die einzige Energiequelle, die jenes Wunder vollbringt. Gott ist der Alleinhandelnde. Der Geist Gottes ergreift den ganzen Menschen, durchdringt ihn und verändert dessen Handeln, Fühlen und Denken. Wir sollten uns keine – auch nicht ein wenig – Urheberschaft für die Gnade Gottes, in der wir leben, zusprechen. Bei Neugeborenen ist wenig oder kein Intellekt vorhanden, der von Gott in Besitz genommen werden könnte. Doch die Umgestaltung der Geisteskräfte ist nicht die Voraussetzung für das Wirken Gottes. Somit gibt es keinen Grund, Menschen deshalb von der Gnadengabe der Taufe auszuschließen, weil sie die Botschaft Jesu nicht verstandesmäßig begreifen können.

 

Trotzdem wird eingewendet:

Die Untersuchung vieler einschlägiger Bibelstellen hat gezeigt, weshalb die Apostel Säuglinge nicht ausschließen konnten, wenn ganze Familien in das Gottesvolk aufgenommen worden sind. Doch gegen die Taufe von Kleinstkindern werden jetzt Einwände geltend gemacht, und wir wollen prüfen, ob diese Kritik an der Säuglingstaufe biblisch begründet werden kann. Die Einwände, die zur Diskussion stehen, sind folgende:

 

„Säuglinge können noch nicht glauben“

Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß der Glaube nicht gleichbedeutend ist mit einer gewissen geistigen Leistung. Er ist einzig und allein ein Geschenk Gottes. Es ist sogar möglich, daß jemand vom Mutterleibe an mit dem Heiligen Geist erfüllt werden kann. Richtig ist, daß man den Glauben nicht feststellen kann. Doch das kann man bei Erwachsenen auch nicht.

Das Wort Gottes und nicht der Glaube des Täuflings macht das Wasser zur Taufe. Dieser Sachverhalt läßt sich am Beispiel der Heilung des syrischen Feldhauptmanns Naemann veranschaulichen (2 Kö 5,10-14). Als der Prophet Elisa dem aussätzigen Heerführer mitteilen ließ, er solle sich siebenmal im Jordan waschen, wollte dieser nicht glauben, daß er dadurch von seinem Aussatz geheilt werden könnte. Nachdem seine Diener aber erreicht hatten, daß er dem Propheten gehorchte, wurde er von seinem Aussatz befreit. Naemann ist also nicht durch seinen Glauben gesund geworden, sondern durch das Wort Gottes und das Jordanwasser.

Die Heilung Naemanns kann uns als Bild für die christliche Taufe dienen. Selbst wer als Erwachsener getauft worden ist, mag später – vor allem, wenn sein Glaube in der Zwischenzeit gereift ist – unsicher werden, ob er im Augenblick seiner Taufe wirklich geglaubt hat. Doch nicht mit dem Glauben des Täuflings steht und fällt die Taufe, sondern mit dem Wort Gottes und mit der Verwendung von Wasser. Wer meint, bei seiner Taufe nicht geglaubt zu haben, der soll jetzt glauben und im Glauben die Taufgnade immer wieder neu empfangen. Wie Jesus die Glieder des Gottesvolkes zum Sinneswandel auffordert (Mt 4,17), wie er uns im Vaterunser gelehrt hat, immer wieder um Sündenvergebung zu bitten, wie der verlorene Sohn zum Vater zurückkommt (Lk 15,20f), so dürfen auch wir immer wieder zur Taufgnade zurückkehren.

In diesem Zusammenhang muß auf das Vorbild des Abraham hingewiesen werden. Abraham empfing die Beschneidung als Zeichen der Glaubensgerechtigkeit, die er in der Unbeschnittenheit hatte (Röm 4,11). Abraham hat vor seiner Beschneidung geglaubt; ebenso wurden in der Urchristenheit auch Menschen getauft, die bereits geglaubt haben (Apg 8,36-38; 10,47f; 16,14f). Andererseits wurde Isaak bald nach seiner Geburt beschnitten (l Mo 21,3f). Dieser alttestamentlichen Parallele entspricht, daß die Kinder nicht ausgeschlossen waren, wenn ganze Häuser getauft worden sind (Apg 16,15.33; l Kor l,16).

 

„Im neutestamentlichen Gottesvolk gibt es nur Freiwillige“

Als Argument gegen die Säuglingstaufe wird auch angeführt, die christliche Gemeinde unterscheide sich dadurch von der alttestamentlichen, daß es in ihr nur Freiwillige gäbe. Doch Freiwilligkeit ist eine moderne und keine neutestamentliche Denkkategorie. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß die Bibel nirgendwo sagt, daß der Mensch auch nach dem Sündenfall einen „freien Willen“ habe, mit dem er sich für Christus oder gegen ihn entscheiden könnte. Er ist entweder ein Gefangener des Teufels, oder er ist in dem Sinne frei, daß Jesus,ihn befreit hat. Wenn Jesus Besessene gereinigt oder Tote lebendig gemacht hat, so hat er sie nicht gefragt, ob sie dies auch möchten. Denn bei diesen Menschen ist es besonders offensichtlich, daß sie keinen „freien Willen“ haben. Im weltlichen Bereich ist unumstritten, daß es nicht verwerflich ist, an Neugeborenen oder bewußtlosen Erwachsenen einen medizinischen Eingriff vorzunehmen, wenn dies zur Lebensrettung notwendig ist. Da ein Säugling bereits mit Erbsünde geboren wird (Röm 5,12-21), benötigt er die Wende, die in der Taufe geschieht, ebenso wie ein Erwachsener. Wir Christen sollten Christus nicht wehren, bereits Neugeborene in seinen Tod hineinzutaufen, damit sie nicht nur mit Christus sterben, sondern vielmehr mit ihm auch leben.

 

„Erst Glaube, dann Taufe“

Man sollte sich auch nicht dadurch irritieren lassen, daß in Mk 16,16 der Glaube vor der Taufe genannt ist, wenn es heißt: „Wer da glaubt und getauft ist, wird selig werden; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden“. Die Reihenfolge, in der die Bibel Sachen aufzählt, muß nicht immer eine zeitliche Reihenfolge bedeuten. So lesen wir im Gesetz über die Priesterweihe, daß man dem Priester den Kopfbund auf sein Haupt setzen und Salböl auf sein Haupt gießen soll (2 Mo 29,6f). Wie soll man dem Priester das Haupt mit Öl salben, wenn der Kopf bedeckt ist? Somit kann hier mit der Reihenfolge der Aufzählung keine zeitliche Reihenfolge gemeint sein. Zudem haben wir in einem anderen Tauftext eine andere Reihenfolge. In Mt 28,19f heißt es wörtlich übersetzt: „Machet zu Jüngern alle Völker, (indem ihr) sie taufend auf (in) den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, sie lehrend zu bewahren alles, was ich euch geboten habe“.

Das Verb heißt: machet zu Jüngern. „Taufend“ und „lehrend“ sind Partizipien. In der Weise, wie Mk 16 häufig überinterpretiert wird, könnte man auch Mt 28 überinterpretieren, indem man behauptet, man solle die Völker zu Jüngern machen, indem man sie zuerst tauft und erst danach lehrt.

Aus der Reihenfolge der Aufzählung kann man kein zeitliches Nacheinander ableiten. Taufen und lehren gehören sachlich zusammen, doch erfolgt jedes zu seiner Zeit. Neugeborene kann man noch nicht unterrichten, wohl aber schon taufen. In diesem Fall erfolgt der Unterricht, der zur Taufe gehört, später. Das Taufen ist vom Lehren unabtrennbar. Somit ist es nicht im Sinne des Taufbefehls, Kinder ohne die Absicht, sie auch im christlichen Glauben zu unterrichten, zu taufen.

 

„Kindertaufe nirgendwo berichtet“

Ständig wird darauf hingewiesen, nirgendwo in der Bibel werde eindeutig berichtet, daß kleine Kinder getauft worden sind. Selbst im sogenannten Kinderevangelium sei nicht angedeutet, Jesus habe die Kinder getauft. Hierzu ist anzumerken, daß die Taufe, mit der wir heute taufen, die trinitarische Taufe ist, mit der Jesus nach seiner Auferstehung die Jünger beauftragt hat (Mt 28,18-20). Es bleibt eine offene Frage, ob es bereits diese Taufe war, mit der Jesus vorher durch seine Jünger getauft hat (Joh 3,22; 4,1f). Da wir dies nicht wissen, hilft es nicht weiter, wenn wir versuchen, die Frage zu beantworten, ob Jesus durch seine Jünger auch Kinder getauft habe.

Daß nirgendwo im Neuen Testament die Taufe von Kleinstkindern ausdrücklich erwähnt ist, beweist nicht, daß die Apostel den Neugeborenen diese Gnadengabe verweigert hätten. So wie wir keine besonderen Berichte über Säuglingstaufen haben, so wird auch nirgendwo erwähnt, daß es für die Apostel selbstverständlich war den Frauen das Abendmahl zu reichen. Dürfen wir deshalb die Frauen von dieser Gnadengabe ausschließen? Dürfen wir Jesus wehren, bereits Neugeborene durch die Taufe in seinen Leib zu integrieren (1 Kor 12,13)?

 

 

 

1Joachim Jeremias, Die Kindertaufe in den ersten vier Jahrhunderten, Göttingen 1958, S. 110.

2Hermann L. Strack und Paul Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, Bd. 1, S. 102-110. Allerdings behielten Kinder das Recht, nach erlangter Mündigkeit selbständig über ihre Zugehörigkeit zur Synagoge zu befinden. Kehrten sie später dem Judentum den Rücken, so wurden sie nicht wie abtrünnige Juden behandelt, sondern wie solche, die zeitlebens Nicht-Israeliten gewesen waren (a. a. 0., S. 110).

3Diese Stelle wird häufig übersetzt: „Was machen sonst, die sich taufen lassen für die Toten, … Was lassen sie sich taufen für die Toten?“ Diese Übersetzung ist rein sprachlich zwar möglich, doch es ist einfach nicht vorstellbar, daß Paulus eine Praxis einer stellvertretenden Taufe für Tote, falls es sie in Korinth gegeben haben sollte, unbeanstandet gelassen hätte. Das Übersetzungsproblem besteht in der Wiedergabe der griechischen Präposition hyper mit Genitiv. Umfangreiche nichttheologische Wörterbücher (Passow. Liddell-Scott, Stephanus) registrieren die Bedeutung „über“ im lokalen Sinn und zitieren Stellen aus antiken Schriften, in denen „hyper“ einzig und allein als „über“ im lokalen Sinn verstanden werden kann. Allerdings stammen jene Belegstellen aus einer Zeit, die 300 bis 500 Jahre vor der Wirksamkeit des Apostels liegt. In neutestamentlicher Zeit scheint dieser Sprachgebrauch allerdings nicht mehr allgemein üblich gewesen zu sein. Das schließt jedoch nicht aus, daß sich irgendwo im großen griechischen Sprachraum der Gebrauch von „hyper“ im Sinne von „über“ bis zur Zeit des Neuen Testaments erhalten hat.

4So auch Joachim Jeremias, Nochmals: Die Anfänge der Kindertaufe. Eine Replik auf Kurt Alands Schrift: „Die Säuglingstaufe im Neuen Testament und in der alten Kirche“, München 1962, S. 47-49.

5a.a.O., S. 49f; Joachim Jeremias, Die Kindertaufe in den ersten vier Jahrhunderten, Göttingen 1958, S.69-73.

6 Jeremias (1962), a. a. O., S. 53f.

7Jeremias (1962), a. a. O., S. 58-62.

8Jeremias (1958), a. a. O., S. 81.

9 Jeremias (1958), a. a. O., S. 110.

10 Jeremias (1958), a. a. O., S. 95-100.

11Teodor Brandt, Tertullians Ethik. Zur Erfassung der systematischen Grundanschauung, Gütersloh 1929, S. 140-143.

12Jeremias (1958), a. a. O., S. 98.

13Jeremias (1958), a. a. O., S. 100.

14a. a. O.

15a. a. O., S. 73f; Jeremias (1962), a. a. O., S. 50.

16Jeremias (1962), a. a. 0., S. 47.

17Jeremias (1958), a. a. O., S. 88-93.

18Jeremias (1958), a. a. O., S. 92-94; Jeremias (1962), a. a. O., S 44.

19Jeremias (1958), a. a. O., S. 49f.

20So: Jeremias (1962), a. a. O., S. 69-72.

21Jeremias (1958), a. a. O., S. 102-104.

22Jeremias (1958), a. a. O., S.107-114.

23Diese Erkenntnis betont sehr zutreffend Wilfried Joest in seinem Aufsatz „Paulus und das Luthersche Simul Justus et Peccator“, veröffentlicht in KERYGMA UND DOGMA l (1955), S. 269-295, besonders S. 286.

24Abschnitt: „Wer bewirkt die Umkehr?“

25Hermann L. Strack und Paul Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, Bd. 3, S. 186-201.

26Weitere Beispiele sind Gottes „Bund“ mit Noah (l Mo 9,8-17), mit Abram (l Mo 15,18; 17,2.4) und mit David (2 Sam 23,5; Ps 89,4).

27Weitere Beispiele: 1 Mo 21,32; 31,44; Ps 83,6.

28Weitere Stelle: 1 Mo 17,19.

29Beispielsweise in: Ernst Kutsch, Bund. In: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 7, Berlin-New York 1981, S. 399.

30Weitere biblische Beispiele im Abschnitt: Wer bewirkt die Umkehr?

31Weitere Stelle: 5 Mo 11,26.

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