Marxistische Einflüsse in der Theologie Deutschlands

und Auswirkungen der marxistisch beeinflußten Theologie auf Rußland

 von diesem Text ist eine russische Übersetzung vorhanden

1. Marxistische Einflüsse in der Theologie Deutschlands

Diesem Problem soll im folgenden nachgegangen werden, und zwar anhand aller drei Artikel unseres Apostolischen Glaubensbekenntnisses. Wir beginnen mit dem

ersten Glaubensartikeldem Artikel von Gott dem Schöpfer.

Die überwältigende Mehrheit der Pastoren und Theologen in den evangelischen Landeskirchen Deutschlands, im Lutherischen Weltbund und im Weltrat der Kirchen widersprechen nicht der Auffassung, daß Pflanzen, Tiere und der Mensch das Ergebnis eines jahrmillionenlangen Evolutionsprozesses seien. Die Atheisten müssen an die Evolution glauben; denn ihr Dogma ist: Es gibt keinen Gott. Gibt es keinen Gott, dann kann es auch keine Schöpfung durch Gott geben. Folglich muß alles von selbst entstanden sein.

Dieses Evolutionsdenken, dieses Fortschrittsdenken, gehört ganz wesentlich zur marxistischen Ideologie. Wie sich in der Natur der Mensch durch viele Zwischenstufen aus einem Einzeller entwickelt habe soll, so entwickle sich die Gesellschaft aus der Urgesellschaft über Sklavenhalterordnung, über Feudalismus und Kapitalismus bis hin zum Sozialismus und Kommunismus.

Die Marxisten haben dieses Geschichtsbild nicht aus irgendwelchen Tatsachen geschlußfolgert, sondern es handelt sich lediglich um eine Behauptung, um ein Dogma, ja um einen religiösen Glauben. Es ist zum Beispiel nichts Schriftliches überliefert, aus dem hervorgeht, daß es eine Urgesellschaft gegeben hätte, in der alle Menschen gleich waren. Die Lehre von der Urgesellschaft ist somit ein marxistischer Glaubenssatz. Auch bei der nächsten Gesellschaftsordnung, der Sklavenhaltertordnung, werden die Tatsachen nach der marxistischen Ideologie zurechtgebogen. Was ist der Unterschied zwischen der Sklaverei zur Zeit Jesu und der Sklaverei in Amerika? In beiden Epochen gab es Sklaven; in beiden Epochen war die Ökonomie kapitalistisch. Doch die Marxisten pressen die Tatsachen in ihr System hinein. Deshalb wird behauptet, im Römischen Reich gab es die Sklavenhalterordnung, in Amerika hingegen gab es den Kapitalismus. Tatsachen nach der Ideologie zurechtzubiegen, gehört ganz wesentlich zum Marxismus. Die Marxisten stülpen also ihr Fortschrittsdenken sowohl über die naturwissenschaftlichen Tatsachen als auch über die gesellschaftlichen Tatsachen.

Wenn Theologen marxistisches Gedankengut übernehmen, tun sie das gleiche. Sie behaupten, Gott habe durch Evolution geschaffen. Es ist offensichtlich, daß die Bibel etwas anderes lehrt. Doch man stülpt das Fortschrittsdenken auch über die Bibel. Man behauptet, daß die biblischen Glaubensaussagen nach und nach von Menschen entwickelt wurden. Wie bei der vermeintlichen Entwicklung des Lebens, so stellt man sich auch hier eine Entwicklung vom Niederen zum Höheren vor. Man meint: Ursprünglich wurden viele Götter verehrt. Jahve war einer von den vielen Göttern. Dieser Jahve dominierte mehr und mehr und wurde später als der einzige Gott verehrt.

Dieses Geschichtsbild widerspricht dem biblischen Zeugnis, daß der lebendige Gott, der Schöpfer Himmels und der Erden, sich als der einzige Gott offenbart hat und daß das Volk immer wieder abgefallen war und Götzendienst getrieben hatte. Deshalb zerlegt man die Bibel und setzt sie nach Gesichtspunkten des Entwicklungsgedankens neu zusammen. Dabei gibt es folgende Tendenz: Die Bibelteile, die vom Götzendienst berichten, verlegt man in frühere Zeit; die Teile jedoch, die von der Verehrung des einzigen Gottes berichten, hingegen in spätere Zeit.

Hinter diesem Auseinanderreißen und erneutem Zusammensetzen des Bibeltextes steht das Anliegen, die einzelnen Bibelabschnitte irgendwelchen menschlichen Urhebern zuzuordnen. Das bedeuet: Nicht Gott habe die Glaubensaussagen offenbart, sondern verschiedene Menschengruppen hätten sie entwickelt. Zu diesem Zwecke versucht man auch, in die Bibel Widersprüche und unterschiedliche Theologien hineinzuinterpretieren. Die schriftliche Abfassung verlegt man in möglichst späte Zeit, um möglichst viel Zeit für eine angebliche Legendenbildung zu haben.

Die Mosebücher darf Mose nicht geschrieben haben. Denn bei der Wüstenwanderung sind viele Wunder geschehen. Und die Wunder betrachtet man als Ergebnis von Legendenbildungen. Und für Legendenbildungen benötigt man Zeit, viel Zeit. In den Mosebüchern steht z.B. das Königsgesetz (5. Mose 17, 14-20). Doch während der Wüstenwanderung hatten die Israeliten keinen König. In den Mosebüchern gibt es ein Gesetz über den Aussatz an Häusern (3. Mose 14, 33-53). Doch in der Wüste hatten die Israeliten keine Häuser. Man meint, daß diese Gesetze von Menschen entwickelt worden seien. Deshalb dürfen sie erst dann entstanden sein, als man wieder in Häusern wohnte und bereits negative Erfahrungen mit dem Königtum gemacht hatte. Wenn in den Mosebüchern steht, daß Gott sein Volk aus dem Lande wegführen lassen wird, wenn es sündigt (3. Mose 26, 33; 5. Mose 28, 41; 29, 27), so darf dieses Gotteswort erst dann abgefaßt worden sein, nachdem die Israeliten bereits weggeführt worden waren.

Wie man sich für die Schöpfung Gottes eine Entwicklungsgeschichte ausgedacht hat, so hat man sich auch für das Wort Gottes eine Entwicklungsgeschichte ausgedacht. Viele einzelne biblische Berichte (zum Beispiel Schöpfung, Sintflut, Abrahamsgeschichten) seien das Ergebnis von Legendenbildungen. Verschiedene Verfasser, die in verschiedenen Zeiten gelebt haben und sich theologisch voneinander unterschieden hätten, hätten die verschiedenen Überlieferungen zu Geschichtswerken zusammengefaßt. Ein „Redaktor“ hätte dann später irgendwann nach der Babylonischen Gefangenschaft diese Geschichtswerke als „Quellen“ für die Mosebücher benutzt.

Es ist sicherlich kein Zufall, daß die sogenannte „Quellenscheidung“ in den Mosebüchern erst zur Zeit von Marx und Darwin unter den Theologen breite Zustimmung finden konnte. Die „Quellenscheidung“ konnte sich erst allgemein durchsetzen, nachdem der Philosph Hegel (1770-1831), der übrigens auch der geistige Vater von Karl Marx war, die Theologen für den Evolutionsgedanken in der Geschichte geöffnet hatte.

Viele Christen hatten nicht erkannt, daß das Problem der „Quellenscheidung“ überhaupt etwas zu tun hat mit dem Glauben an Jesus Christus, den Gottessohn, der stellvertretend für unsere Sünden gestorben und auferstanden ist. Dadurch war es möglich, bei den Mosebüchern die bibelkritische Arbeitsmethode einzuführen.

Doch diese Methode blieb nicht auf das Alte Testament begrenzt. Auch für das Neue Testament hat man eine „Quellenscheidung“ erfunden. Und jetzt sehen wir, wie sich der marxistische Einfluß auch auf den

zweiten Glaubensartikel, den Artikel über den Erlöser, auswirkt.

Man stellt sich die Entstehung der Evangelien so vor, daß verschiedene Schreiber das, was in den Gemeinde über Jesus verkündet worden ist, aufgeschrieben haben. Die Evangelisten hätten diese Niederschriften dann später als „Quellen“ für die Evangelien benutzt.

Wie sich diese Betrachtungsweise auf das Verständnis der Jesusworte auswirkt, sollen folgende Beispiele aus einem weitverbreiteten Kommentar über das Johannesevangelium zeigen. Dieser Kommentar1 aus dem Jahre 1975 ist der neueste Kommentar, den ich im Erlanger Theologischen Institut vorfand. Was in diesem Kommentar steht, ist die allgemeine Meinung innerhalb der EKD. So lernen es die Theologiestudenten, und so verkündigen sie es später als Pastoren. In diesem Kommentar heißt es wörtlich: „Die Formel mit dem doppelten ‚Amen‘ findet sich nur im Johannesevangelium, geht aber traditionsgeschichtlich auf die prophetisch-apokalyptische ‚Ich sage euch‘-Formel der ältesten nachösterlichen Gemeinden Palästinas zurück“ (NTD, S. 91 unten). Früher hatten die Gläubigen geglaubt, daß die Worte Jesu auf Christus selbst zurückgehen. Doch in diesem Kommentar kommt die allgemeine Auffassung innerhalb der EKD zum Ausdruck, daß viele Worte, die uns als Jesusworte überliefert werden, angeblich nicht von Jesus selbst, sondern von einer Gemeinde stammen. Daß es sich hier nicht nur um eine mißglückte Formulierung handelt, sondern daß man tatsächlich meint, daß Jesusworte nicht von Jesus stammen, sondern von Gemeindekreisen geschaffen worden seien, geht aus folgenden Zitaten hervor: „Die apokalyptische ‚Ich sage euch‘-Formel ist also im außerjohanneischen Urchristentum prophetisch-enthusiastischen Ursprungs entstanden, Kennzeichen inspirierter Rede und pneumatischer Autorität“ (NTD, S. 92). „Als historischer Entstehungsort kann nur eine judenchristlich-gnostisierende Gemeinde Syriens in Betracht kommen“ (NTD, S. 92f). Ein judenchristlich-gnostisches Gemeindekollektiv habe also verschiedene Jesusworte geschaffen.

Doch das behauptet man nicht nur von Jesu Einleitungsworten. Im Johannesevangelium lesen wir, daß unser Heiland zu uns spricht:

„Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten“ (Joh. 6, 35).

„Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben“ (Joh. 8, 12).

„Ich bin die Tür; wenn jemand durch mich hineingeht, wird er selig werden und wird ein- und ausgehen und Weide finden“ (Joh. 10, 9).

„Ich bin der Gute Hirte. Der Gute Hirte läßt sein Leben für die Schafe“ (Joh. 10, 11).

„Ich bin der Gute Hirte und kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich, wie mich mein Vater kennt, und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe“ (Joh. 10, 14f).

„Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben“ (Joh. 11, 25f).

„Ich bin in die Welt gekommen als ein Licht, damit, wer an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibe“ (Joh. 12, 46).

„Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun“ (Joh. 15, 5).

Diese tröstlichen Jesusworte weisen angeblich „gnostische Einflüsse“ auf. Es sei „mehr als wahrscheinlich, daß die Selbstvorstellung auf gnostische Vorbilder zurückgeht“ (NTD, S. 129). Das bedeutet im Klartext: Nicht Jesus soll diese tröstlichen Worte zu uns gesprochen haben; sondern irgendein gnostisch beeinflußtes Gemeindekollektiv hätte diese Worte geschaffen und dem historischen Jesus in den Mund gelegt. Im einzelnen kann man die Jesusworte zwar sehr gut und sehr erbaulich erklären. Doch das Subjekt ist ausgetauscht. Es ist nicht mehr Jesus, der Gute Hirte, der zu uns spricht, sondern irgendein Gemeindekollektiv, das irgendwelche heidnischen Gedanken seiner Umwelt aufnimmt, weiterentwickelt und dann dem historischen Jesus in den Mund legt.

Jesu Worte: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch …“ oder „Ich bin …“ kann man mit der Unterschrift des hohen Bundesbankbeamten Namens Schlesinger vergleichen, dessen Unterschrift auf den deutschen Geldscheinen steht. Es ist doch nicht belanglos, ob der Geldschein mit der Unterschrift Schlesingers wirklich von der Bundesbank stammt oder ob ihn jemand anders hergestellt hat und die Firma der Bundesbank und den Namen des Bundesbankbeamten Schlesinger benutzt, um das Vertrauen in die Geldscheine zu erhöhen.

In Deutschland geben viele Pastoren die Jesusworte an ihre Gemeinden weiter, obwohl sie meinen, daß sie nicht von Christus stammen würden. Das ist damit vergleichbar, wie wenn jemand einen Geldschein weitergibt, obwohl er nicht davon überzeugt ist, daß dieser von der Bundesbank stammt. Wie ist es möglich, daß Pastoren fromm predigen, obwohl sie etwas anderes glauben?

Das erkennt man auf dem Hintergrund eines Wahrheitsbegriffs, den wir vom Marxismus her kennen. Wie es im Marxismus keinen Gott gibt, so gibt es im Marxismus auch keine unwandelbare ewige Wahrheit. Engels polemisiert mit folgenden Worten gegen eine Denkweise, die der unwandelbaren Wahrheit verpflichtet ist und die er als idealistisch oder metaphysisch bezeichnet: „Er (das heißt der Metaphysiker) denkt in lauter unvermittelten Gegensätzen: seine Rede ist ja, ja, nein, nein, was darüber ist, ist vom Übel. Für ihn existiert ein Ding entweder, oder es existiert nicht: ein Ding kann ebensowenig zugleich es selbst und ein anderes sein. Positiv und negativ schließen einander absolut aus;…“2 . Anders soll es nach den Lehren des Marxismus sein. Was heute wahr ist, kann morgen unwahr sein und umgekehrt. Wahrheit gilt nur als veränderlicher Bewußtseinsinhalt. Bewußtsein gilt als subjektive Begleiterscheinung von Veränderungen im Nervensystem. Wandelbar ist sogar die Ideologie.

Dieses marxistische Wahrheitsverständnis wirkt sich auch in der heutigen Theologie aus. Im vorigen Jahrhundert haben die liberalen Theologen verschiedene christliche Glaubensaussagen, zum Beispiel die Jungfrauengeburt, Jesu Wunder und Jesu stellvertre- tendes Sühneleiden und Auferstehung geleugnet. Heutige Theologen lassen diese und andere biblische Glaubenswahrheiten als Glaubenslehren stehen. Doch diese Glaubensinhalte trennen sie ab von den historischen Ereignissen, die vor 2000 Jahren geschehen sind. Würde man den einflußreichen deutschen Theologen Karl Barth und Rudolf Bultmann vorwerfen, daß sie die Auferstehung Jesu leugnen, dann würden sie diesen Vorwurf zurückweisen. Doch Barth schreibt:

„Dieses Grab mag bewiesen werden, als endgültig verschlossenes oder als offenes Grab, es bleibt sich wirklich gleich. Was hilft das so oder so bewiesene Grab bei Jerusalem im Jahre 30 ?3

Die historische Frage, ob vor 2000 Jahren jemand tatsächlich auferstanden ist, ist für Barth bedeutungslos. Von dieser historischen Frage trennt Barth den Glauben an den Auferstandenen ab. Zum griechischen Wort oofthe schreibt er:

„Was heißt oofthe? Er erschien, er erzeigte, er erwies, er bezeugte sich. Aber auf alle Fälle Er. Auch wenn man übersetzen will: er wurde gesehen – auf alle Fälle Er.4

Diese Abtrennung des subjektiven Glaubens von der objektiven Tatsächlichkeit ist auch wesentlich für das Entmythologisierungsprogramm des deutschen Theologieprofessors Rudolf Bultmann (1884-1976). Die Gedanken Bultmanns haben in Deutschland den Glauben sehr zersetzt. Bultmann kann scheinbar fromm über den Kreuzes- und Auferstehungsglauben schreiben. Aber der Glaube, wie Bultmann ihn verkündigt, ist nicht in den objektiven historischen Ereignissen vom Karfreitag und vom Ostermorgen verwurzelt. So schreibt Bultmann:

„Diese mythologische Interpretation, in der sich Opfervorstellungen und eine juristische Satisfaktionstheorie mischen, ist für uns nicht nachvollziehbar.“5  Weiter können wir lesen: „Das Osterereignis als die Auferstehung Christi ist kein historisches Ereignis; als historisches Ereignis ist nur der Osterglaube der ersten Jünger faßbar. …Der christliche Osterglaube ist an der historischen Frage nicht interessiert, für ihn bedeutet das historische Ereignis der Entstehung des Osterglaubens wie für die ersten Jünger die Selbstbekundung des Auferstandenen, die Tat Gottes, in der sich das Heilsgeschehen des Kreuzes vollendet.“ 6

Früher hatten die liberalen Theologen verschiedene biblische Aussagen geleugnet. Doch heute bleiben die Dogmen weitgehend als Glaubensinhalte erhalten. Die Verkündigung – Bultmann benutzt das griechische Wort Kerygma – bleibt scheinbar erhalten. Es werden vom Glauben nicht mehr so sehr einzelne Inhalte abgeschnitten, sondern die Dimension der Wahrheit wird reduziert. Die Predigt vom auferstandenen Christus bleibt angeblich erhalten. Aber es fehlt die Dimension der vollen Tatsächlichkeit, die Dimension der Wahrheit. Im Marxismus gibt es keine objektive unwandelbare Wahrheit. Wenn Theologen marxistisches Denken aufnehmen, dann verkürzen sie die Dimension der Wahrheit. Die Lehrinhalte bleiben oftmals scheinbar weitgehend erhalten. Doch in dem Maße, in dem die Wahrheitsdimension reduziert wird, in dem Maße empfindet man die Welt des Glaubens wie eine Märchenlandschaft. Man erschrickt nicht mehr vor der Hölle. Die Frage: „Wie kann ich dem höllischen Feuer entrinnen, wie werde ich meine Sünden los?“ gerät mehr und mehr aus dem Blickfeld.

Je mehr der Himmel aus dem Blickfeld gerät, um so mehr bemüht man sich, diese Welt zu verbessern. Jetzt sind wir beim

dritten Glaubensartikel, dem Artikel vom Heiligen Geist, der seine Kirche erhält und leitet.

Nach marxistischer Lehre bringt die Arbeiterklasse die Höherentwicklung voran. Dabei wird sie von der Partei der Arbeiterklasse geleitet.

Wie die Arbeiterklasse von ihrer Partei geführt wird, so wird auch die Gemeinde geleitet, und zwar von ihren Pastoren, von den Kirchenleitungen, vom Lutherischen Weltbund und von der Genfer Ökumene. Jahrhundertelang war die Christenheit gespalten, weil es in ihr unterschiedliche Auffassungen gab, wie man in den Himmel kommt. Doch je weniger es in der Kirche um das Seelenheil geht, um so weniger empfindet man falsche Lehre als kirchentrennend. Die Abweichungen vom biblischen Christentum – sogar in der Auferstehungsbotschaft -, die sehr viele Pastoren von Barth und Bultmann übernommen haben, sind ohnehin schwerwiegender als viele Irrlehren anderer Konfessionen.

Will man die Welt verändern, dann braucht man dazu viele Menschen. Es ist ein Anliegen der Ökumene, die Gläubigen zusammenzuschließen. Zuerst sind es nur die Christen, die sich in der Ökumene sammeln. Doch dann sieht man, daß auch die Moslems an einen einzigen Gott glauben wollen. Heute ist man schon so weit, daß man sich nicht einmal von Religionen abgrenzen will, die nicht christlich sind. Die Hintergründe für ökumenische Zusammenschlüsse werden sichtbar, wenn man die marxistische Lehre vom Qualitätsumschlag durch Anhäufung von Quantität kennt. Unter marxistischem Einfluß soll mit den Kirchen und Konfessionen etwas Ähnliches entstehen, wie es die Kommunisten in der Landwirtschaft durchgeführt haben. Die Bauern durften nicht für sich alleine wirtschaften; sondern sie mußten einen Kolchos bilden. Dadurch, daß viele Bauern sich in einem Kolchos zusammentun, sollte es zu einem Qualitätsumschlag kommen.

In der Ökumene sind die einzelnen Kirchen wie in einem Kolchos zusammengeschlossen. Durch diese Anhäufung von Quantität soll eine neue Qualität erreicht werden. Und diese soll es ermöglichen, die Welt umzugestalten. Auch die Marxisten wollen die Welt umgestalten. Je mehr marxistisches Gedankengut die „christlichen“ Weltverbesserer in sich aufnehmen, um so leichter haben es die Agenten des KGB, die „christlichen“ und die marxistischen Aktivitäten in ihrem Sinne zu koordinieren.

Die Marxisten werden bei ihren Aktivitäten nicht durch irgendwelche Skrupel behindert; denn ihre Moral ist „völlig den Interessen des proletarischen Klassenkampfes untergeordnet“7. Folglich arbeiten sie mit Halbwahrheiten und mit handfesten Lügen. Zusätzlich unterdrücken sie noch die Verbreitung wahrer Mitteilungen. Und in diese Machenschaften zog der KGB auch den Lutherischen Weltbund hinein sowie den Ökumenischen Weltrat der Kirchen, dem auch die EKD angehört.

Es soll hier nicht darum gehen, was Kirchenführer in Unwissenheit für die kommunistische Sache getan haben. Deshalb beschränke ich mich hier weitgehend auf Bußrufe des wegen seiner Jesusnachfolge 14 Jahre in Rumänien eingekerkerten Pastors Richard Wurmbrand. Die mir vorliegende auszugsweise Veröffentlichung der Wurmbrandbriefe ist aus dem Jahre 1973. Trotz dieser Warnungen, die vor dem Jahre 1973 erfolgten, ist der Weltrat der Kirchen nicht von seinem kommunistischen Kurs abgekehrt. Durch diese Tatsache erhalten die folgenden Zitate aus den Wurmbrandbriefen ihr großes Gewicht.

Wurmbrand schreibt in einem Brief an den Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen C. E. Blake:

„Ich las eine Resolution des Weltkirchenrates für die Aufnahme von Rotchina in die UNO. Ich wäre sehr dankbar, wenn Sie mir auch den Text einer Resolution schicken könnten, worin gegen die Schließung aller Kirchen in Rotchina protestiert oder die Freilassung von Watchmann Nee, Wang-Min-Dao, Frl. Sung und anderen Christen aus ihren Gefängnissen verlangt wird. Nach den Aussagen des Nationalrates der Kirchen von Taiwan sind von der Roten Garde während des letzten Aufruhres 20000 Christen getötet worden. Eine Million Gläubige wurden früher gemordet. In Nord-Korea sind alle Kirchen geschlossen und Pfarrer erschossen worden“ (Wurmbrandbriefe, S. 128).

Ich zitiere weiter: „Weshalb macht der Weltkirchenrat die schwierigen Lebensverhältnisse der Neger in den USA bekannt, denen doch die Kinder nicht abgenommen werden, nicht einmal wenn sie schwarze Panther anstatt schwarze Menschen sind. Weshalb schreit die Ökumene gegen die Apartheid in Südafrika, ohne es gleichzeitig gegen die Gewalttaten und die Apartheid in kommunistischen Staaten zu tun, wo man als Christ oder Jude zweitrangiger Bürger ist? Gewiß, es gibt dort Glaubensstärke, aber nicht bei denen, die dem Kommunismus schmeicheln und aus dem Osten zum Weltkirchenrat kommen, sondern bei der Untergrundkirche.
Was nun den Sieg der Liebe über den Haß anbelangt, so äußert er sich in der Tat. Bitte teilen Sie mit, wieviel der Weltkirchenrat im vergangenen Jahr den Familien christlicher Märtyrer gegeben hat, und wir werden Ihnen die Summe nennen, die unsere Organisation gibt. Vergessen Sie dabei nicht, Ihre hohen Einkünfte zu berücksichtigen! Wenn Sie nur die Kosten für den Nachtklub anläßlich der Konferenz des Weltkirchenrates in Uppsala, wo bei russischem Wein (wir haben uns die Aufschrift einer russischen Weinflasche besorgt!) obszöne und Billy Graham verhöhnende Lieder gesungen worden sind, hungernden Märtyrerkindern zur Verfügung gestellt hätten! Die Druckkosten für das Gesangbuch der Jugendabteilung des Weltkirchenrates, das schamlose Lieder wie ‚Verdammt sei Jehova … Mag Gott gekreuzigt werden‘ enthält, hätten für Familien christlicher Märtyrer gebraucht werden sollen“ (im gleichen Brief, S. 130f).

Weiter zitiere ich Wurmbrand: „Lieber Bruder, ich habe mit großer Überraschung der Presse entnommen, daß Sie den Beschluß des Weltkirchenrates unterstützt  haben, 200 000 Dollar an Guerillatruppen in Afrika zu geben. Ich stimme dem Weltkirchenrat zu, daß wir den Rassismus bekämpfen müssen, leider ist aber in dieser Sache die Haltung des Weltkirchenrates einseitig. … Der Weltkirchenrat hat niemals ein Wort gesagt, geschweige denn geholfen, wo jemand seiner Rasse wegen vom Kommunismus verfolgt worden ist. Deshalb wirkt jegliche Verurteilung von Rassendiskriminierung, die vom Weltkirchenrat gemacht wird, äußerst verdächtig. Ich kann nicht glauben, daß er wirklich den Rassismus verabscheut. Andernfalls würde er ihn hassen, wo immer er sich bemerkbar macht. Man haßt kommunismusfeindliche Regierungen und man unterstützt Organisationen, die gegen solche Regierungen kämpfen“ (Wurmbrandbriefe, S. 135f).

„Man hat mich sehr höflich gebeten: ‚Bitte kommen Sie nicht nach Genf. Die Kommunisten würden es erfahren und sich darüber ärgern.‘ Als ob die Kommunisten es wären, die in Genf diktierten!“ (Wurmbrandbriefe, S. 53).

„Sie warfen mir vor, daß ich über die Folterungen von Christen seitens der Kommunisten schreibe, weil das die Leute zum Haß gegen die Kommunisten treiben würde. Wer immer meine Predigten gehört hat, weiß, daß ich Haß gegen die Sünde und Liebe zum Sünder verkündige. Übrigens könnte der Vorwurf, den Sie mir gemacht haben, auch den vier Evangelisten gelten. Sie alle haben geschrieben, was man Jesus angetan hat und damit den Haß der Völker gegen die Juden erweckt. Die Schandtaten des Nazismus hätten auch nicht veröffentlicht werden sollen. Aber Leute Ihrer Denkweise publizieren unbekümmert die Untaten des Klu-Klux-Klan. Sie schreiben gegen die Rhodesische und Südafrikanische Regierung, damit Haß schürend. Nur, wenn es um die Greueltaten der Kommunisten geht, müssen wir delikat vorgehen. Warum diese Bevorzugung der Kommunisten Ihrerseits, da Sie sich doch – wenn auch nur im Flüstertone – Antikommunist nennen? Sie sagten,daß ich die Kommunisten zu unrecht Gangster nenne, obwohl sie ganze Länder gestohlen haben. Sie sagten, daß nicht jeder Kommunist ein Gangster sei. Ebensowenig war jeder Nazi ein Mörder und ist jedes Klu-Klux-Klan-Mitglied ein Verbrecher. Die Nazis sind aber Mörder und die Kommunisten Gauner. Sie sind mit Hilfe von Gewalt  und Betrug an die Macht gekommen und üben überall Terror aus. Sie sollten dagegen kämpfen und den unterdrückten Christen helfen!” (Wurmbrandbriefe, S. 58f).

Wie gleichgültig manchen Funktionären des Weltkirchenrates die verfolgten Christen sind, geht aus folgendem Briefausschnitt hervor: “ ‚Ich war gefangen, und ihr habt mich nicht besucht.‘ – Diesen biblichen Vorwurf kann ich allen westlichen Kirchenführern machen, die im Laufe der letzten Jahre die kommunistischen Staaten aufgesucht haben. Ihr habt nicht einmal den Wunsch geäußert, die Tausende von christlichen Gefangenen zu sehen; Ihr habt deren hungernde Familien nicht aufgesucht. Ja, noch schlimmer, einige von uns kamen nach dem Westen. Hier hat uns der Weltkirchenrat nie danach gefragt, was wir zu essen haben; auch mich nicht. Ich besitze kein eigenes Bett, noch ein Laken, noch eine Decke oder einen Löffel. Vielen anderen ehemaligen christlichen Gefangenen geht es ebenso“ (Wurmbrandbriefe, S. 56).

Es soll noch einmal darauf hingewiesen werden, daß alle diese Zitate einer Veröffentlichung des Jahres 1973 entnommen worden sind. So lange liegt es also schon zurück, daß Wurmbrand den Lutherischen Weltbund, den Weltkirchenrat und die gesamte kirchliche Öffentlichkeit vor der Sünde der Komplizenschaft mit den Feinden Jesu gewarnt hat. Und er war keineswegs der einzige Warner. Trotzdem hat sich nichts am kommunistischen Kurs kirchlischer Stellen geändert. Das beweist: Nicht Unwissenheit war die Ursache für diese Komplizenschaft, sondern geistige Nähe. Diese Komplizenschat blieb keineswegs auf den Weltkirchenrat und den Lutherischen Weltbund beschränt.

In einem Leserbrief einer Zeitschrift lesen wir: „Der Grund eines Zweistundengespräches, das ich Mitte der 70er Jahre mit dem damaligen Kirchenpräsidenten Martin Niemöller führte, war die Christenverfolgung in den osteuropäischen Ländern. Niemöller, der die Grausamkeit dieser Verfolgung überhaupt nicht in Frage stellte, beschloß den Informationsaustausch mit den Worten: ‚Und dennoch liebe ich den Kommunismus mit allen seinen Schattenseiten.‘ Die ungeheuerliche Aussage dieses Kirchenmannes wurde umso glaubhafter, als der einstige Nazigegner hohe und höchste Auszeichnungen aus der damaligen UdSSR dankbar entgegennahm – und keiner der Kirchenoberen wahrnehmbare Kritik anmeldete“ (ideaSpektrum 41/92, S. 31).

Es ist noch hinzuzufügen, daß es in Nürnberg eine Martin-Niemöller-Kirche gibt. Somit ist innerhalb einer Gliedkirche sowohl des Lutherischen Weltbundes als auch des Weltkirchenrates ein Kirchengebäude nach dem Kirchenmann, der den Kommunismus mit allen seinen Schattenseiten liebte, benannt.

 

Jetzt, wo der Kommunismus offensichtlich seinem Ende entgegengeht, wollen sich die ehemaligen Komplizen der Kommunisten bei der Gemeinde in Osteuropa einkratzen. Jetzt erwecken sie den Eindruck, als würden auch sie mit uns zu der gleichen Herde gehören und mit uns gemeinsam auf die Stimme des Guten Hirten hören. Unter dem Vorwand, uns theologisch helfen zu wollen, säen sie jedoch den Zweifel, daß verschiedene Jesusworte eventuell doch nicht von unserem Guten Hirten, sondern von irgendwelchen gnostisch beeinflußten Gemeinden stammen könnten.

Die Bibel benutzt wiederholt das Bild von Christus als dem Bräutigam und der Gemeinde als seiner Braut. Auch die Gemeinde Rußlands ist die Braut Christi. Obwohl ihre einzelnen Glieder hoffentlich im Himmel große Schätze haben, ist Jesu Braut in Rußland doch scheinbar arm. Jesus sagt: „Sehet zu, daß euch nicht jemand verführe“ (Matth. 24, 4). Wenn jemand eine Tochter hat, die ein reicher Taugenichts verführen will, der wird seine Tochter warnen. Die Braut Christi in Rußland soll nun von Komplizen der kommunistischen Christenverfolger von Christus abgewendet und zu einer marxistisch beeinflußten Theologie verführt werden. Davor sollten wir die Gemeinde warnen.

Die Propagandisten des Lutherischen Weltbundes und des Weltkirchenrates locken uns mit den großen Zahlen. Nicht nur wenige, sondern 54 Millionen Menschen in 104 Mitgliedskirchen gehören dem Lutherischen Weltbund an.8 Und mit dem Ökumenischen Rat der Kirchen (Weltkirchenrat) sind sogar 400 Millionen Menschen in 303 Mitgliedskirchen  und 30 „angeschlossenen Kirchen“9 auf dem gemeinsamen Weg. Nach der marxistischen Lehre vom Qualitätsumschlag müßte also eine derartige Anhäufung von Quantität in eine neue Qualität umschlagen. Doch Jesus Christus sagt von dem Weg, den die vielen gehen: „Gehet ein durch die enge Pforte. Denn die Pforte ist weit, und der Weg ist breit, der zur Verdammnis führt, und ihrer sind viele, die darauf wandeln. Und die Pforte ist eng, und der Weg ist schmal, der zum Leben führt, und wenige sind ihrer, die ihn finden“ (Matth. 7, 13f).

 

2. Die Auswirkungen der marxistisch beeinflußten Theologie auf Rußland

Manche sagen: Von den Mißständen in Deutschland sind wir nicht betroffen. Bisher haben uns deutsche, finnische und amerikanische Kirchen nur sehr geholfen, gaben uns Valuta und Autos, bauten Kirchen, gaben Bibeln und christliche Literatur und helfen uns, unsere Pastoren auszubilden. Viele Christen in Rußland denken: Die uns so sehr helfen, das können doch nur unsere Brüder in Christus sein. Und wenn Rußlanddeutsche nach Deutschland umsiedeln, dann gehören sie in Deutschland selbstverständlich zur dortigen Landeskirche. Dort werden sie dann häufig von einem Pastor betreut, der nicht glaubt, daß Jesus auferstanden ist.

Doch auch die, die in Rußland bleiben, werden verführt, den breiten Weg des Unglaubens, der ins Verderben führt, zu gehen. So lernten am 9. 1. 93 die russischen Prediger von einer finnischen Dozentin, daß das Alte Testament von 750 bis 175 vor Christus entstanden sei. Das bedeutet, die Niederschrift begann erst zur Zeit der Könige Israels, also lange nach Mose, und endete erst, nachdem verschiedene Prophetien des Danielbuches erfüllt waren.

Das ist die allgemeine Meinung, wie sie an den staatlichen Universitäten Europas gelehrt wird. Wer dem grundsätzlich widerspricht, wird vom theologischen Establishment als unwissenschaftlich angesehen und kann kein Theologieprofessor werden. Die Situation ist vergleichbar mit der ehemaligen Sowjetunion, wo auch niemand Professor werden konnte, der verwirft, was die KPdSU für Wissenschaft hielt. So kommt es, daß z. B. an Deutschlands Theologischen Fakultäten Professoren (z. B. Jürgen Moltmann) Marxismus verkünden, sich aber nicht ein einziger Universitätsprofessor wagt, sich mit dem die Theologie durchdringenden marxistischen Zeitgeist anzulegen.

Die falsche Theologie hat in Deutschland den Glauben zerstört. Doch hat es lange gedauert, bis die Kirchen leer wurden. Zeit war nötig, bis die gläubigen Theologieprofessoren gestorben waren. Dann war noch einmal Zeit nötig, bis die gläubigen Pastoren starben und durch ungläubige ersetzt wurden. Die ungläubigen Pastoren unterrichten dann die Kinder der gläubigen Gemeindeglieder, die inzwischen auch schon gestorben sind.

Vor ca. 30 Jahren ging in der DDR ca. die halbe Schulklasse, der ich angehörte, zum kirchlichen Unterricht. Die Katechetin erzählte uns die biblische Geschichte so, wie sie in der Bibel steht. Als Erwachsener besuchte ich die inzwischen pensionierte Katechetin. Wir kamen auch auf die Mosebücher zu sprechen. Sie sagte mir, daß sie in ihrer Katechetenausbildung von den verschiedenen „Quellen“ in den Mosebüchern gelernt hatte. Sie stimmte dieser Theorie zu, jedoch, ohne sie verstanden zu haben. Denn hätte sie die Theorie begriffen, dann wüßte sie, daß es darum geht, die einzelnen biblischen Berichte als Ergebnis von Legendenbildung aufzufassen. Dann hätte sie uns Kindern z. B. die Abrahamsgeschichte und den Sintflutbericht nicht so erzählen können, daß es sich um wirkliche historische Ereignisse handelt.

Inzwischen ist diese Katechetin pensioniert, und schon in den 70er Jahren lernten die Kinder der gleichen Gemeinde, daß der Sintflutbericht ein Märchen sei. Das Kirchgebäude dieser Gemeinde war vor 30 Jahren sonntags halbvoll; vor zehn Jahren gab es hingegen nur noch wenige Gottesdienstbesucher. So hat eine falsche Theologie überall in Deutschland den Glauben zerstört.

Auch die russischen Prediger haben am 9. 1. 93 gelernt, daß das Alte Testament von 750 bis 175 vor Christus entstanden sei. Wem diese Zahlen nichts sagen, der gibt diese vermeintliche Information weiter. Irgendjemand, der dies hört und durchdenkt, der schlußfolgert, daß die Mosebücher lange Zeit nach Mose geschrieben worden seien, daß sich Jesus somit geirrt haben müsse, wenn er sagt: „Er (Mose) hat von mir geschrieben“ (Joh. 5, 46).

Diese Gefahr dürfen wir keineswegs unterschätzen. Mein zehnjähriger Neffe hat im Religionsunterricht in der Schule gelernt, daß das Neue Testament erst lange nach den Ereignissen niedergeschrieben worden sei. Daraus schlußfolgert er mit seinen zehn Jahren, daß die Berichte über Jesu Predigt, seine vielen Wunder und seine Auferstehung nicht zuverlässig seien; und versucht so, seien Unglauben zu rechtfertigen. Seine Schlußfolgerung ist folgerichtig. Falsch sind aber die Zeitangaben, die von Menschen frei erfunden wurden und als vermeintliche Fakten in Bücher geschrieben werden. Und derartige aus Unglauben hervorgegangene falsche Zeitangaben, deren Konsequenz ebenfalls der Unglaube ist, wurden den russischen Predigern am 9. 1. 93 von einer finnsichen Dozentin vermittelt.

Bei vielen umstrittenen Zeitangaben geht es letztenendes um die Frage, ob Menschen das Bibelwort geschaffen haben, oder ob Gott es offenbart hat. In Zeiten von Verfolgung ist es besonders wichtig zu wissen, daß das Bibelwort das Wort Gottes ist, das für mich ganz persönlich niedergeschrieben wurde. Als ich mit Handschellen im Gefängnisauto durch die halbe DDR zur Stasi meiner Heimatstadt gefahren wurde, da war es mir völlig unwichtig, was irgendjemand um 175 vor Christus, der die politischen Ereignisse der damaligen Vergangenheit in Form von Prophetie niedergeschrieben haben soll, über die Überlebenschancen der Gläubigen in einer Löwengrube oder im Feuerofen dachte. Doch ich wußte aus dem absolut irrtumslosen Gotteswort, wie Gott gehandelt hat und handelt. Wie sich dem Apostel Petrus einmal nach kurzem Gefängnisaufenthalt die Kerkertüren öffneten (Apg. 12, 5-11), so durfte auch ich gehen und war bald darauf in der Bundesrepublik Deutschland. Dort habe ich mich weiter mit der vom Marxixmus beeinflußten Theologie befaßt.

Wie Lüge und Heuchelei ganz wesentlich zum Marxismus gehören, so versuchen auch marxistische Theologen, den falschen Eindruck zu erwecken, an den gleichen Dreieinigen Gott zu glauben wie wir. In der Kirche sprechen sie mit uns das Glaubensbekenntnis von Jesus, dem Sohn der Jungfrau, der auferstanden ist. Doch sie glauben nicht, daß Jesu Mutter auch im biologischem Sinne Jungfrau war; noch glauben sie, daß Jesu Körper lebend das Grab verlassen hat.

Besonders in der Sowjetunion haben viele Glaubensgeschwister durch die von westlichen Theologen gepriesenen Kommunisten den Märtyrertod erlitten. Mich persönlich hat Gott anders geführt. Ich bin durch Gottes Gnade nicht nur am Leben geblieben, sondern durfte auch noch die Kriegstaktik unseres Widersachers, die listigen Anläufe des Teufels (Eph. 6, 11), jenes Vaters der Lüge (Joh. 8, 44), der sich zum Engel des Lichts verstellt (2. Kor. 11, 14), studieren. Und nun kommen die „falschen Apostel und arglistigen Arbeiter“ (2. Kor. 11, 13) in das Land der Christenverfolgung und belehren uns, daß das Alte Testament in den Jahren von 750 bis 175 vor Christus entstanden sei. Und wenn wir diese vermeintliche Tatsache weitergeben, dann schlußfolgert irgendjemand einmal, daß Bestandteile des Gotteswortes von Menschen geschaffen worden seien. Und genau dieser Unglaube steht hinter der den russischen Predigern am 9. 1. 93 vermittelten Auffassung, das Alte Testament sei in den Jahren von 750 bis 175 vor Christus entstanden.

Wer die im Gotteswort berichteten objektiven Tatsachen in Frage stellt, der hat einen anderen Glauben. Seht doch, wie nachdrücklich Jesus uns vor den „Wölfen im Schafspelz“ (Matth. 7, 15) und vor dem „Schlangen- und Otterngezücht“ (Matth. 23, 33) warnt. Schaut doch auf die vielen (z. B. Röm. 16, 17; 2. Kor. 11) leidenschaftlichen Warnungen des Apostel Paulus: „Wenn auch wir oder ein Engel vom Himmel euch würde Evangelium predigen anders, als wir euch gepredigt haben, der sei verflucht“ (Gal. 1,8). Wie damals in Galatien, so wird auch heute in Deutschland, in Finnland und in Amerika ein anderes Evangelium verkündet.

Der Apostel Paulus vergleicht die damaligen Verfälschungen des Evangeliums mit Sauerteig ( Gal. 5, 9). Man benötigt nur wenig Sauerteig, damit eine große Teigmenge nach und nach zu Sauerteig wird. In Europa wurde aus wenig Sauerteig sehr viel Sauerteig. Und von dem vielen Sauerteig, der dort den Glauben bereits zerstört hat, bringt man uns etwas.

Die Aussage, das Alte Testament sei zwischen 750 und 175 vor Christus entstanden, ist ein Detail in einem großen in sich geschlossenem und vom Marxismus beeinflußten theologischen System. Es ist zu befürchten, daß derartige Details, die mit Sauerteig vergleichbar sind, uns immer wieder vermittelt werden. Um dem entgegenzuwirken, müssen wir klar unterscheiden zwischen den Schafen, die Jesu Stimme hören (Joh. 10, 27), und den reißenden Wölfen, die ebenfalls einen Schafspelz tragen (Matth. 7, 15). Selbstverständlich können Wölfe nicht unsere Brüder in Christus sein. Wer von den Wölfen behauptet, sie seien unsere Brüder in Christus (2. Joh. 10), der verfälscht das Gotteswort und wird dadurch selbst zum Wolf.

Doch aus Europa und Amerika kommen viele sehr notwendige Dinge, die die Ausbreitung des Evangeliums fördern: Geld, Autos, Computer. Es muß befürchtet werden, daß diese Hilfe eventuell ausbleiben könnte, wenn wir lautstark bestreiten, daß die Geber unsere Brüder in Christus sind.

In der Tat ist die Gemeinde Jesu in Rußland durch die Mißwirtschaft der Kommunisten, für die unsere falschen Brüder in Europa Propaganda gemacht haben, arm an irdischen Gütern. Doch sehr arm war auch Jesus Christus, dem wir nachfolgen wollen. Ein Futtertrog mußte als Kinderbett dienen; und als Erwachsener hatte er nicht, wo sein Haupt hinzulegen (Matth. 8, 20); das heißt, er war obdachlos. Und der bedeutendste Heidenmissionar aller Zeiten, der Apostel Paulus, mußte Zelte herstellen (Apg. 18, 3), weil sein Gehalt nicht ausreichte (1. Thess. 2, 9). Können wir uns vorstellen, daß dieser Apostel seine Botschaft auch nur um ein Jota verkürzt hätte, um für seine umfangreichen Missionsreisen aus Europa oder Amerika dringend benötigt Valuta und Autos zu bekommen? Können wir uns vorstellen, daß er es unterlassen hätte, vor den „Hunden“ und den „bösen Arbeitern“ (Phil. 3, 2) zu warnen, um die Versorgung mit Valuta nicht zu gefährden?

In der Tat sind wir Bettler, und zwar durch die Mißwirtschaft der Kommunisten, deren Denkweise immer noch die gesamte protestantische Theologie wie ein Krebsgeschwür durchdringt. Doch das Evangelium gehört nicht uns, sondern es ist die Botschaft Gottes. Wenn wir Geld brauchen, dürfen wir doch auch nicht das Eigentum anderer Menschen verkaufen; ebensowenig dürfen wir Bestandteile des Gotteswortes für Valuta hergeben. Das gilt auch für das folgende Gotteswort, das den deutschen, den finnischen und den amerikanischen Geldgebern mißfallen dürfte: „Ich ermahne aber euch, liebe Brüder, daß ihr achtet auf die, die da Zertrennung und Ärgernis anrichten entgegen der Lehre, die ihr gelernt habt, und weichet von ihnen“ (Röm. 16, 17).

Wenn wir im Unterschied zu den westlichen Wölfen im Schafspelz wirklich glauben, daß alle Jesusworte von Jesus stammen, dann wissen wir, daß unser himmlischer Vater nicht nur die Vögel ernährt, daß er nicht nur die Lilien und das Gras kleidet, sondern daß er vielmehr auch uns versorgt (Matth.6,24-34).

 

 

Die russische Übersetzung des nachfolgenden Briefes wurde an die kirchlichen Mitarbeiter der finnischen lutherischen Kirche in Rußland verschickt.

 

                              St. Petersburg, den 30. 6. 93

 

Liebe Schwestern und Brüder in Christus!

 

Vor einiger Zeit wurde ein Papier über den marxistischen Einfluß in der Theologie verbreitet. Der Mißstand, um den es in diesem Papier letztenendes geht, ist der, daß im kirchlichen Bereich neben dem Gotteswort auch Teufelswort verkündigt wird. Oder ist es etwa kein Teufelswort, wenn behauptet wird, verschiedene Jesusworte würden nicht von Jesus selbst, sondern von den ersten Christen stammen? Als Christus uns den Heilsweg verkündigte, hat er auch gegen etwas gepredigt, und zwar gegen den Teufel und gegen dessen Botschaft (z. B. Joh. 8, 37 – 45), die durch die damaligen Theologen, die Pharisäer und Schriftgelehrten, verbreitet wurde.

Wir kennen alle das biblische Bild von der Kirche als Leib Christi. Ein Leib, ein Körper, wehrt sich gegen Krankheitserreger, die in ihn eindringen. Tut er das nicht, so hat er AIDS. Auch der Leib Christi wehrt sich gegen das Teufelswort, das die göttliche Botschaft verfälscht. Gläubige, die sich nicht wehren, haben geistliches AIDS. Das geistliche AIDS, der prinzipielle Verzicht auf Zurückweisung des Teufelsworts, ist eine besonders gefährliche Krankheit in der Kirche. Mit Kirchen, die in ihrer Mitte das Teufelswort tolerieren, darf es keine Einheit im Glauben geben.

Es ist somit nicht nur die Frage, ob in den deutschen und in den finnischen Landeskirchen die Evolutionstheorie gelehrt wird, ob gelehrt wird, daß die Mosebücher nicht von Mose stammen, ob gelehrt wird, daß nicht alle Jesusworte von Jesus stammen, ob gelehrt wird, daß Jesu Tod nicht für unsere  Sünden geschehen sei, ob gelehrt wird, daß Jesu Körper nicht lebend das Grab verlassen habe; sondern die eigentliche Frage ist, ob derartige Teufelsworte in den deutschen und in den finnischen Landeskirchen toleriert werden.

Unsere Situation ist vergleichbar mit der des Volkes Israel. In alttestamentlicher Zeit gab es zwei grundverschiedene theologische Richtungen. Es gab den Glauben an den allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erde, und es gab die Verehrung verschiedener heidnischer angeblicher Götter.

Aaron war damals in seiner demokratischen Gesinnung den Wünschen der Gemeinde nachgekommen und hatte beide grundverschiedenen theologischen Richtungen miteinander verbunden, indem er ein goldenes Kalb anfertigte. Und das Volk sagte dazu: „Das ist dein Gott, Israel, der dich aus Ägypten geführt hat“ (2. Mose 32, 4). Nach der Volksmeinung handelte es sich also keineswegs um Abfall vom lebendigen Gott, sondern lediglich um eine andere Form der Verehrung des Gottes, der sein Volk aus der ägyptischen Sklaverei geführt hat. Das war auch Aarons Wertung, der die sich anschließende Götzenfeier als „des HERRN Fest“ (2.  Mose 32, 5) bezeichnete.

Auch heute gibt es völlig unterschiedliche Glaubensrichtungen, und zwar den Atheismus und den biblischen Glauben an den allmächtigen Gott. Und dann gibt es – der Vergleich mit Aaron ist naheliegend – die Tendenz, die Bibel, und vor allem ihre Entstehung, so zu betrachten, als ob es keinen Gott gäbe.

Diese atheistische Sichtweise hat man in eine große Fülle theologischer Detailfragen hineingetragen. Und die Resultate solcher Sichtweise verbreitet man unter dem Deckmantel der Wissenschaft nicht nur an den Universitäten, sondern auch in den Gemeinden. Verschiedene derartige Auffassungen, z. B. daß Mose nicht die Mosebücher geschrieben habe, sind heute so allgemein verbreitet wie die Verehrung von goldenen Kälbern nicht nur zur Zeit Aarons, sondern auch in der größten Zeit der alttestamentlichen Geschichte Israels. Mit derartigen Details, die scheinbar und angeblich nicht den Glauben an Christus als als unseren Erlöser berühren, führt man uns an eine Bibelbetrachtungsweise  heran, die Elemente des Atheismus enthält.

Die Sache läßt sich nicht dadurch aus der Welt schaffen, daß bestimmte Personen aus europäischen Kirchen Rußland nicht mehr besuchen. Dadurch kann man lediglich vor den Russen verbergen, daß keine Einheit im Glauben besteht. Doch in Lehrfragen muß Klarheit herrschen. In der Kirche darf es keine Geheimlehren geben.

Johannes Lerle

 

1Siegfried Schulz: Das Evangelium nach Johannes, in: Das Neue Testament Deutsch. Neues Göttinger Bibelwerk, Teilband 4, Göttingen 1975; im folgenden abgekürzt: NTD.

2Marx-Engels Werke (Ausgabe des Instituts für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED), Band 20, 1962, S. 21.

3Karl Barth: Die Auferstehung der Toten. Eine akademische Vorlesung über 1. Kor. 15, Zollikon-Zürich 1953, S. 78.

4a. a. O. S. 80.

5Bultmann in: Hans Werner Bartsch [Hrsg.], Kerygma und Mythos. Ein theologisches Gespräch, Hamburg 1948, S. 45.

6a. a. O., S. 51.

7Lenin 31, 280f (deutsche Ausgabe).

8Ökumene-Lexikon, 2. Auflage, Frankfurt am Main 1987, Spalte 771.

a. a. O., Spalte 911.

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