Das Gedicht im word-Format:
Journalist Patrik Baab entzaubert Kriegspropaganda
Theo will etwas für den Frieden tun und sein Land verteidigen. „Dabei bin ich mir der Risiken bewusst.“ sagt er in die laufende Kamera. Wirklich?! Journalist Patrik Baab bezweifelt das. Er lädt ihn und all die anderen jungen Männer auf eine Reise nach Donezk ein. Brutal und offen führt er ihm dort die Schrecken und die Sinnlosigkeit des Krieges vor Augen.
[Sprecher:]
Patrik Baab – Politikwissenschaftler und Publizist – war viele Jahre für öffentlich-rechtliche Anstalten tätig und der Realität des Krieges in der Ostukraine, in Afghanistan und anderswo sehr nahe. Im Herbst 2023 erschien neben vielen anderen Büchern „Auf beiden Seiten der Front – Meine Reisen in die Ukraine“.
[Moderator:]
Geh doch – zieh in den Krieg! Mit diesen provokanten Worten will Patrik Baab in seinem emotionalen Gedicht einen 16-Jährigen zum Nachdenken zwingen. Baab ist jemand, der weiß, wovon er schreibt.
Theo, so heißt der 16-jährige, ist ein normaler Jugendlicher, der sich entschieden hat, den Dienst an der Waffe anzutreten. Stellvertretend steht er damit für andere seines Alters, die diesen Schritt gehen möchten. Das Verhängnisvolle: Beinahe jeder von ihnen hat falsche Erwartungshaltungen. Blauäugig sind sie Werbern der Bundeswehr auf den Leim gegangen. Geschickt nutzen diese die Abenteuerlust junger Leute sowie deren Technikbegeisterung aus, um sie für eine Bundeswehrlaufbahn zu begeistern. Dazu kommt die absurde Kriegspropaganda, die sogar vor Schulen keinen Halt macht. Das alles trägt Früchte.
Theo will etwas für den Frieden tun und sein Land verteidigen, wie er der Fernsehmoderatorin Anne Will erklärte. „Dabei bin ich mir der Risiken bewusst“, beteuerte er in ihrer Sendung. Doch ist das wirklich der Fall? Patrik Baab bezweifelt das. In Gedichtform lädt er ihn ein, mit nach Donezk zu reisen. Brutal und offen führt er ihm dort die Schrecken des Krieges vor Augen. Seine Botschaft ist klar: In einer wie auch immer gearteten militärischen Auseinandersetzung geht es gegenwärtig nicht darum, sein Land zu schützen! Vielmehr werden die Soldaten von macht- und profitbesessenen Strippenziehern missbraucht. Um deren Ziele zu verwirklichen, streuen ihre Helfer den Leuten Sand in die Augen. Sie provozieren, hetzen die Menschen gegeneinander auf und reiben sich hinter den Kulissen die Hände. Was den Völkern am Ende bleibt, sind Tod, Verwüstung, Leid sowie endlose Tränen der Trauer. Geh doch – zieh in den Krieg! Ein wachrüttelndes Gedicht, eine Hommage für den Frieden …
[Video:]
Du willst tun, was wirklich zählt? Dann mach’s!
Geh zur Bundeswehr!
Du willst westliche Werte verteidigen, unsere Freiheit, wie damals in Afghanistan?
Dann geh!
Ich bin alt. Ich werde dich nicht hindern.
Du willst wissen, was Krieg heißt? Dann geh!
Zieh in den Krieg!
Du willst dein Vaterland verteidigen? Dann geh!
Lass dir erzählen, dass die Russen kommen,
dass Putin morgen vor der Tür steht,
wenn wir ihn nicht heute im Donbass von uns halten!
Glaube, was sie dir sagen, denn wer nichts weiß, muss viel glauben,
und wer unserer Propaganda nicht glaubt, betreibt das Geschäft unserer Feinde!
Lass dich aufhetzen gegen die Russen!
Geh! Augen zu und durch!
Geh dahin, wo die schwarze Erde jetzt schon getränkt ist
mit dem Blut hunderttausender Ukrainer und Russen.
Geh!
Auch über deinen Leichnam wird Gras wachsen.
Komm mit mir nach Donezk,
wo schon die Kinder lernen, was Krieg heißt,
wo dieser Krieg nicht 2022 begonnen hat, sondern bereits 2014,
auf dem Maidan,
wo dieser Krieg mit den Morden des Rechten Sektors angefangen hat,
was du in der Schule nicht hörst, nicht in den Universitäten.
Komm mit mir in die Stadt,
wo jeder weiß, was es heißt, in der Todeszone zu leben.
Wo Schulkinder beim Pausenklingeln unter den Tisch kriechen,
weil sie den nächsten Bombenalarm fürchten,
und wo sie nachts, in ihren Träumen,
ein Leben lang dem Tod zu sehen, wie er seine Arbeit macht.
Komm mit mir nach Mariupol,
wo an der Kellerwand steht mit weißer Farbe: Sdez Detje! Hier leben noch Kinder!
Aber der Keller ist ausgebrannt.
Hier lebt niemand mehr.
Wenn du erfahren willst, was Krieg heißt, dann komm!
Wenn du mit mir kommen willst zur Kontaktlinie, komm!
Komm,
wenn du durch ausgebrannte Fensterhöhlen in den Abgrund schauen willst,
wenn du im Straßengraben nicht pinkeln kannst, weil da Schmetterlingsminen liegen,
wenn du dich tagelang nicht waschen kannst,
wenn die letzte Ration von Maden zerfressen ist und es sonst nichts mehr zu fressen
gibt,
wenn du in feuchten Kellern mit anderen verdreckten und verstörten Menschen
die schmierige Brühe aus der Heizung leckst,
wenn du nur Dreckwasser zu trinken hast,
wenn du dir an diesem dreckigen, verseuchten Wasser die Ruhr holst,
wenn du über dem Donnerbalken scheißen musst und
wenn du kein Gras mehr findest, dir den Arsch abzuwischen,
wenn du am ersten, am zweiten, am dritten, am vierten, am fünften Tag immer noch dieselbe Unterhose trägst und der alte, verhärtete Kot sich darin sammelt,
wenn du nachts in deinem durchnässten Armeeparka im Dreck liegst und
wenn du dir im Winter auf einer Pritsche im eiskalten Unterstand Erfrierungen holst,
wenn Läuse und Flöhe deine stinkende Uniform befallen,
wenn Myriaden von Wanzen sich an deiner Haut nähren,
wenn du die Krätze bekommst,
wenn dir der kalte, feuchte Schlamm, in dem du tagein, tagaus knöcheltief stehst,
die Haut am Fuß bläulich grau färben und deinen Fuß allmählich abfaulen lässt,
wenn die amputierten, blutigen Grabenfüße auf einem Haufen im Dreck liegen,
wenn die Ratten an den Leichen nagen und die Krähen den Toten die Augen und Därme
ausfressen,
wenn du die Trillerpfeife der Offiziere hörst,
wenn sie dich mit gezogener Pistole den Finger am Abzug auf die Leiter und aus dem Schützengraben ins Maschinengewehrfeuer jagen, in die Minenfelder,
wenn die Drohnen im Schwarm auf dich zugeflogen kommen,
wenn du nachts nicht schlafen kannst, weil die Verwundeten in den Stacheldrahtverhauen festhängen und stöhnen und nach ihrer Mutter flehen,
wenn du im Lazarett dich auf einem dreckigen Laken windest und dein Fuß juckt und du dich am Fuß kratzen willst, aber da ist kein Fuß mehr, weil dein Bein amputiert wurde,
wenn nur der Phantomschmerz dich daran erinnert, dass du einmal ein Bein gehabt
hast,
wo jetzt nur ein Stumpf in einem durchgebluteten Verband steckt,
wenn die Raketen dein Telefon anpeilen und in kalter Geometrie ihr Ziel erreichen,
wenn von deinem Panzer nur geschmolzenes Metall übrig bleibt,
wenn du bei 1.400 Grad im Feuerball verglühst,
dann weißt du, was Krieg heißt.
Also geh!
Hol dir diesen Geschmack von Freiheit und Abenteuer!
Geh und werde ein Held!
Geh, wenn Macht und Medien zusammenhalten wie Pech und Schwefel.
Gib dein Leben für jene, die dich dorthin schicken, aber selbst dorthin nicht gehen!
Hab’ kein Mitleid mit dir selbst! Geh!
Geh in den Tod für jene, die Volksreden halten in TV-Quasselrunden,
die in der Etappe bleiben oder im Bunker und ihre eigenen Kinder in den letzten Flieger
setzen nach Übersee,
überzeugte Transatlantiker, wie sie sind.
Geh!
Wenn du fällst, werden die Börsenkurse steigen!
Also geh!
Aber vorher
schau sie dir an,
wie sie hinter ihren Schreibtischen sitzen in ihren Redaktionen und in den Kaffeetassen
rühren,
die Maulhelden, die selbst ihre Kinder nicht in den Graben schicken,
schau sie dir genau an,
die Hasardeure und Hütchenspieler in der Regierung, die Taurus liefern wollen,
aber sich selbst beim ersten Flintenschuss einfeuchten,
schau sie dir an,
die Rüstungsbosse, die Sektkorken knallen lassen, während andere an ihren Waffen
verbluten.
Schau sie dir genau an.
Du musst diesen Typen nur ins Gesicht sehen.
von ag
Quellen:
zu Patrik Baab:
https://westendverlag.de/author/detail/018d2216953d73afbf91d494df0d13a0
patrikbaab.de
https://www.patrikbaab.de/about
https://www.manova.news/artikel/zieh-in-den-krieg